.:  Der Landgänger  :.


Ich war dann auch mal weg ...


Auf der Via Francigena von Lausanne nach Rom



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Den Großen St. Bernard hatte ich erreicht, wenn auch nicht ganz so, wie ich es eigentlich vorgehabt hatte. Meine Füsse waren gut versorgt und ich hatte mich ausruhen können. Insgesamt war ich recht zuversichtlich, meinen Weg fortsetzen zu können. Mit den Schmerzen würde ich ich schon klar kommen. Hatte ich doch die Erfahrung gemacht, dass diese immer nach der ersten halben Stunde Weg deutlich erträglicher wurden.
Unter einem strahlenden, aber kalten Himmel brach ich also zum nächsten großen Abschnitt meiner Reise auf und stieg ins Aostatal hinab und folgte diesem dann bis zu seinem Ende in der Po-Ebene.


Tag 7, 07.09.2015: Hospiz Grand San Bernard - Etroubles



Die Sonne strahlte, dass es eine Pracht war, aber es war kalt, sehr kalt. Ich zog mich also Zwiebelschicht für Zwiebelschschicht warm an, warf mir meinen Pilgersack auf den Rücken und ging hinaus. Nach den ersten Metern warf ich noch einmal einen wehmütigen Blick zurück zu diesem "letzten heimeligen Haus". Doch dann blickte ich nach vorn und betrat kurz darauf entschlossen italienischen Boden.
Dort bog ich zum Denkmal des St. Bernard ab und ging über den Bereich der alten römischen Bebauung. Ich meinte dort auch noch Teile des alten römischen Fahrwegs zu sehen, der wohl hier aus dem Fels heraus gehauen war. Und dann stand ich am Rand dieses Plateaus und blickte hinab in die Tiefe des Tals. Die Passstraße schängelte sich herunter und verlor sich in der Tiefe. Alles schien von diesem tiefen Tal verschluckt zu werden.
Ich folgte dem markierten Pfad und begann den Abstieg. Es war ein einziger Genuss bis zum Ende des Tages und bei dieser Witterung nicht schwierig zu gehen. Schon nach kurzer Zeit hatte ich deutlich an Höhe verloren. An den ersten Häusern nach dem Pass vorbei ging es tiefer und tiefer hinab auf manchmal steilen Pfaden. Bald konnte ich den Anorak ausziehen, in St. Rhemy folgt das Fleece. Selbst im Shirt wurde es mir bald warm.
Hoch am Hang erreiche ich irgendwann St. Oyen. Hier gab es zwei Campingplätze. Doch sie lagen tief unten auf der Talsohle, für pilgernde Backpacker nicht unbedingt erste Wahl. Der Weg war abwechselungsreich und entspannt zu gehen und war jetzt eher ein gemäßigter Wanderweg. Die Zeit verging wie im Fluge und dann, am frühen Nachmittag erreichte ich den Campingplatz in Etroubles.
Der Mercateo (kleiner Supermarkt) 500 Meter vor dem Platz hatte leider geschlossen, aber das Panificio (Brotbäckerei) direkt neben dem Platz hatte geöffnet. Dort kaufte ich mir ein ordentliches Stück Pizza. Fremde Länder, andere Sitten. Das Stück Pizza wurde meinem Wunsch gemäß mit der Schere abgeschnitten und der Preis richtete sich nach dem Gewicht. Jooo ...
"Camping Tunnel" ist wirklich eine Empfehlung. Der Platz ist liebevoll und gestaltet und die Betreiber sind sehr freundlich und hilfsbereit.
Ich unterhielt mich am Abend ein wenig mit der Tochter des Hauses und auch mein Fußmalheur kam zur Spache. In Aosta wäre Meinardi die richtige Adresse, falls ich mir neue Schuhe kaufen wolle. Solche Tipps können Gold wert sein. Das Ganze bekam ich dann auch gleich noch in einen Stadtplan eingezeichnet. Geht es noch besser?
Beim Essen fand ich neben der Sitzbank eine kleine LED-Leuchte, die wohl jemand verloren hatte. Ich nahm sie an mich. Was ich nicht wußte, sie gehörte Gerben, der sie hier verloren hatte.
Es war ein perfekter Tag. Das Wetter, der wunderschöne Abstieg ins Tal und dann auch noch ein richtig toller Zeltplatz. Und meine Füsse hatten auch gut mit gespielt.


DSC08931_800.JPG Entschlossen betrat ich die Passstraße und machte mich auf den Weg nach Italien, ...


DSC08934_800.JPG ... dass ich kurze Zeit später erreichte. Bei den Häusern bog ich rechts ab und erreichte kurz darauf ...

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... das Denkmal von St. Bernard.
DSC08942_800.JPG Bei dieser Sicht schien die phantastische Bergwelt ringsum zum Greifen nahe. Alles war klar und vollkommen plastisch. Ich blieb eine Weile stehen und staunte.

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Noch einmal der Blick zurück zum Hospiz. Ich war dankbar für die Zuwendung und Hilfe, die ich dort erhielt. Es war ein Stück Geborgenheit.

DSC08944_800.JPG Ob hier wohl der der römische Fahrweg verlief? Nahe dem Bereich mit ehemaliger römischer Bebauung führte der Pfad durch diese Rinne. Sie schien nicht  natürlich entstanden zu sein und sah aus, wie aus dem Fels gehauen. Na ja, vielleicht irrte ich mich ja auch ...

DSC08947_800.JPG Am Rand des kleinen Plateaus blickte ich hinab in die Tiefe des Tals. Die Passstraße veschwand dort.

DSC08951_800.JPG Die ersten Häuser nach dem Pass. Ein paar mal querte der Pfad die Passstraße.

DSC08957_800.JPG Tiefer und tiefer ging es hinab. In der Ferne die Straßenschlange.

DSC08959_800.JPG Der Pfad war teilweise steil und eng aber nicht wirklich schwierig. Hier schon nahe der Einfahrt des Tunnels.

DSC08965_800.JPG Aufmerksamkeit und Trittsicherheit waren jedoch trotzdem unbedingt geboten!
DSC08966_800.JPG Und dann wurde es deutlich gemäßigter, eher ein Wanderweg.

DSC08969_800.JPG Das erste Dorf. Es wirkte wie ausgestorben. Bezüglich der Versorgung gab es hier, außer einem relativ teurem Restaurant, nichts.

DSC08970_800.JPG Weiter ging es hinab. Inzwischen waren die Hosenbeine wieder abgezippt, Anorak und Fleecejacke ausgezogen. Es war war heiß und ein kurzes Shirt reichte zum Schwitzen.

DSC08974_800.JPG Wieder ein Dorf, wieder wie eine Geisterstadt. Diese Dörfer waren sehr malerisch und verwinkelt. Ich mochte sie.

DSC08975_800.JPG Langsam fühle ich mich in Italien. Panificio, wie wunderbar das klingt - für eine Bäckerei. In Panificios bekommt man in Italien Brot, Brötchen, Pizza von Meter und meist auch Brioches. Das sind diese fluffigen Croissants. Die gibt es pur, mit Zucker bestreut oder gefüllt mit unterschiedlichen Cremes oder Marmeladen. Einfach köstlich und gibts in fast jeder Bar zum Frühstück.

DSC08979_800.JPG "Camping Tunnel" ist ein wirklich schöner, liebe- und sinnvoll gestalteter Platz in Etroubles. Er liegt in günstiger Entfernung zum Pass und direkt am Weg. Meine Empfehlung für die, die mit Zelt unterwegs sind.
Bei der Anmeldung erhielt ich einen Stadtplan von Aosta.

DSC08983_800.JPG Hier nur ein Gestaltungsdetail vom Platz.


                                                                                     

Tag 8, 08.09.2015: Etroubles - Aosta



Das Wetter war weiter schön und so ging es am nächsten Morgen auf zum Teil malerischen Wegen immer am Hang entlang weiter hinab. Schon kurz hinter Etroubles überholten mich zwei Schwedinnen auf Wanderschaft. Nach etwas Smalltalk zogen sie zügig weiter. Ich aber hatte Zeit.
Einige Zeit später hörte ich Schritte hinter mir. Ein stämmiger Mann mit hochgepacktem Rucksack stampfte schwankend mit eigenartigen Trippelschritten heran. Er wirkte düster und merkwürdig unpersönlich. Ich wünschte "Guten Morgen" und fragte ob er auch Pilger sei. "Ja" und er ging an mir vorbei. Woher er denn komme. "France" hörte ich ohne das er sich umdrehte. Meine erste Begegnung mit einem anderen Pilgern auf dem Weg hatte ich mir ja irgendwie etwas anders vorgestellt. Egal ...
Neben dem Weg rauschte dann später lange Zeit ein schmaler Kanal, in dem klares Wasser nur so dahin schoss. Später hörte ich, dass diese Kanäle zum uralten Wasserwirtschaftssystem des Tals gehören. Auch in anderen Teilen des Aostatals stieß ich später auf sie. Ich empfand das am mir vorbeieilende, kühle Wasser als recht angenehm.
Irgendwann am späten Vormittag entdeckte ich mitten auf dem Weg einen zum Camper umgebauten Unimog mit deutschem Nummernschild. Daneben ein Paar am Campingtisch beim Kaffeetrinken. Ich wünschte wieder "Guten Morgen". Die beiden schauten überrascht und luden mich spontan ein. Der Duft von Filterkaffee, richtigem deutschen Filterkaffee zupfte an meinen Nasenschleimhäuten! Ich wurde förmlich willenlos, sie merkten es auch und es war ihnen ein Vergnügen. Wir plauderten eine Weile - sie kamen aus dem Ländle - , ich bekam selbstgebackenes Brot, selbst produzierten Honig, Weintrauben und Tomaten aus eigenem Anbau. Was für Köstlichkeiten! Nach einer Weile gesellte sich eine weitere Pilgerin zu uns. Sie kam aus Korea und konnte sich kaum verständlich machen. Trotzdem war es eine nette Runde. Irgendwann zog sie weiter und kurz darauf brach auch ich auf, nicht ohne großen und ehrlichen Dank für die Gastfreundschaft.
Hinter Gignot traf ich wieder auf die kleine Koreanerin, die mit wohl weniger als 160 cm Größe fast hinter ihrem Riesenrucksack verschwand. Den lupfte ich mal wärend einer Pause und dachte zunächst, das er am Boden festgenagelt war, so schwer war das Teil. Wir gingen zusammen bis Aosta. Am Marktplatz trennten sich unsere Wege und ich sah sie nie wieder.
Durch die Hauptflaniermeile machte ich mich auf dem Weg zu Meinardi. Der Verkäufer nickte nur wissend, als ich mein Problem schilderte und die italienischen Scarpas, die er mir dann empfahl, bewiesen, dass er seinen Job verstand. Ohne diese Schuhe wäre wohl bald Schluss gewesen. Was denn mit den alten Schuhen sei, wollte er wissen. "Trash" sagte ich nur und er lachte verstehend. Höflich, wie Italiener sind, wartete er mit der Entsorgung bis ich fort war. Die Schuhe verströmten einen etwas herben Geruch und er wollte wohl nicht, dass ich sah, wie er mit einer Schaufel und zugekniffener Nase zu Werke ging.
Schon beim Hinausgehen merkte ich, wie die neuen Schuhe meinen Füssen gut taten und so konnte ich recht unbeschwert die Schönheiten Aostas anschauen. Die Stadt ist durchaus sehenswert und ich genoß mein erstes Eis in Italien. Jetzt war ich im Süden angekommen. Der Himmel. war anders, die Luft, die Pflanzen, die Menschen. Als Nordländer habe ich dieses merkwürdige Empfinden jedes mal, wenn ich in Italien bin und ich liebe es. Langsam schlenderte ich aus der Stadt heraus und landete in dieser Hochstimmung prompt auf dem harten Boden der Tatsachen. Die Pfarrei St. Anselmo am Stadtrand war geschlossen. Kein Mucks dort und nichts war es mit meiner ersten Übernachtung in einer Pilgerunterkunft.
Aber zum Glück hatte ich ja mein Zelt dabei und in der Nähe sollte ein Zeltplatz sein, in nur einen Kilometer Entfernung, jedoch etliche -zig Meter höher. Zuversichtlich machte ich mich also auf, nur um eine dreiviertel Stunde später festzustellen, dass es an der angegebenen Stelle zwar ein "Campeggio" aber keinen Zeltplatz gab. Ein Übersetzungsfehler? Ich war jedenfals sauer und nach einem langen Tag auch rechtschaffend platt. Ungewöhnliche Situationen fordern ungewöhnliche Maßnahmen und so beschloß ich im nahegelegen Parco Fontana wild zu zelten. Gesagt, getan. Ich wartete dort bis zur Dämmerung und schlug schnell mein Zelt auf. Gute Nacht.


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Der Weg von Etroubles war einfach und schön.

DSC08987_800.JPG Eine Besonderheit war dieser Kanal, der über viele Kilometer neben dem Weg verlief. Diese Kanäle gehören zum Wasserwirtschaftssystem des Aostatals.

DSC08989_800.JPG Was mich immer wieder faszinierte waren diese Dacheindeckungen aus massiven Steinplatten. Sie sind eine Besonderheit der Gegend und man findet sie weit ins Tal hinein.

DSC08990_800.JPG Mein erster Pilger auf dem Weg. Woran mußte er wohl tragen, dass er so mürrisch war.

DSC08995_800.JPG Deutscher Filterkaffee und andere Köstlichkeiten aus dem Ländle. Die beiden waren total nette Gastgeber. Die kleine Koreanerin war erstaunlich. Sie war recht klein, sicher schon einiges über die sechzig und trug eine wahnsinnig schweren Rucksack. Nach Aosta sah ich sie nicht wieder.

DSC09001_800.JPG Überall Zeichen einer ausgeprägten Volksfrömmigkeit, wie man sie in Gebirgsregionen oftmals findet.

DSC09002_800.JPG Irgendwo am Wege. Diese herrlichen Blicke ins Tal gab es des öfteren.

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In der Gegend bei Gignot. Irgendwo dort hinten liegt Aosta. Es war also noch ein Weilchen zu laufen ...

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... und vor allem noch einige hundert Meter abzusteigen. Dabei ging es teilweise unangenehm steil zu.

DSC09011_800.JPG Aosta war eine bedeutende römische Stadt und Spuren davon findet man reichlich. So dieses mächtige Tor mitten in der Stadt.

DSC09014_800.JPG Ein Bollwerk und ...

DSC09017_800.JPG ... auch heute noch beeindruckend.

DSC09019_800.JPG Aosta wird von einem Ende zum anderen von einer Einkaufsmeile durchzogen. Das Bild täuscht denn es wimmelte von Passanten.

DSC09020_800.JPG Jaaaaaaaaaaa, welche Wohltat! Meine neue Schuhe erwiesen sich als Glückskauf. Sie trugen mich bis Rom und die Marke "Scarpa" ist mir jetzt ein Begriff.

DSC09022_800.JPG Eis am Stil aus der Eigenproduktion in allen Variationen. Ich zog allerdings die Köstlichkeiten einer Gelateria vor.

DSC09024_800.JPG Am östlichen Stadtausgang noch ein Monument aus alter Zeit.
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Mein Lager im Parco Fontana. Das die Nacht keine erholsame sein würde ahnte ich nicht.

   

Tag 9, 09.09.2015: Aosta - St. Vincent



Ich hatte eine üble Nacht hinter mir. Zunächst konnte ich nicht gut einschlafen, da ich am ganzen Körper mangels ausreichender abendlicher Hygiene ein schweißigklebriges Gefühl hatte. Und dann wurde ich gegen 02.00 Uhr von Geräuschen geweckt. Ganz in der Nähe veranstalteten zwei Jugendliche irgendeine Nachtsession im Park. Sie hatten mich entdeckt und beobachteten mich, kamen aber nicht näher. Mit meiner Nachtruhe war es vorbei. Als es dämmerte packte ich gerädert meine Sachen und machte mich auf den Weg ins Tal. Im McDonalds frühstückte ich erst einmal meinen Frust weg. Was für eine besch....e Nacht!
Erst gegen halb zehn raffte ich mich auf und machte mich auf den Weg. Auf heißen Teerstraßen ging es nur hinauf und hinauf, hoch über das Tal. Diese endlose Straßenlatscherei war zwar ermüdend aber wenigstens funktionierten die neuen Schuhe wie versprochen. Zumindest entschädigten mich immer wieder schöne Ausblicke auf das Tal. Langsam verschwand Aosta in der Ferne. Am Castell Quart vorbei kam ich schließlich nach Nus. In der dortigen Parrocchia gab es keine Beherbergung von Pilgern (mehr). Also weiter. Ich lief und lief und lief und irgenndwann kurz vor Chatillon bestieg ich an der Hauptstraße den Bus und fuhr bis St. Vincent. Meine Füsse hatten sich wieder gemeldet. In St. Vincent fragte ich jemanden nach der "parotschia a piazza della schiesa". Er sah mich ratlos an. Dann ging ihm ein Licht auf: "Ahhh, parrokkia a piazza della kiäsa!" und zeigte mir den Weg. Ich wollte im Boden versinken!
Dort angekommen hatte ich dann mein einziges mieses Erlebnis der ganzen Wanderung. Es hieß: "Einlaß im Oratorio erst ab 21.00 Uhr!" Ich glaubte mich verhört zu haben und fragte noch einmal nach. Auch ein Anruf des Pfarrers im Oratorio brachte kein anderes Ergebnis. Sie sollten keine Übernachtungsplätze anbieten, wenn sie  die Menschen derart behandeln! Diese Berufschristen sollten sich schämen! Vor dem Hintergrund meiner weiteren meist guten Erfahrungen kirchlichen Pilgerünterkünften kann ich heute nur sagen, dass dieser Verein eine Schande für alle anderen war.
Tief gefrustet zog ich wieder zurück auf die  Einkaufsstraße und gönnte mir erst einmal meine erste italienische Pizza und mein erstes Birra Moretti. Das kühlte meine Empörung ein wenig herunter und die Pizza war ausgezeichnet, verfeinert mit olio piccante.
Also trottete ich humpelnd hinunter zum "Camping Paradise", ich hatte ja ein Zelt, wie schön. Auf dem Weg konnte ich meine ersten Feigen vom Baum essen. Der Platz war schön mit einer freundlichen Betreiberin. Sie kam aus Rumänien und meinte nur zu meiner Geschichte: "Ja, die Leute hier im Tal sind schon etwas speziell."
Trotz allem Ärger schlief ich hier gut. Mein HexHex war schon toll ...
 

DSC09029_800.JPG Hoch über dem Tal gings am Hang entlang. Kein Pilger hätte das gemacht aber diese Wegführung war wohl der engen Bebauung der Talsohle geschuldet. Jedenfalls bescherte sie immer wieder schöne Ausblicke aufs Tal und Aosta wurde kleiner ...

DSC09030_800.JPG ... und kleiner.

DSC09031_800.JPG Gerade zu Beginn war öde Asphalttreterei angesagt ab es gab auch einige sehr schöne Passagen.

DSC09032_800.JPG An einigen malerischen Burgen ging es vorbei.

DSC09034_800.JPG Und immer wieder der Blick ins Tal und...

DSC09035_800.JPG ... man sieht schon Erstaunliches, wie diesen Knast zum Beispiel.

DSC09036_800.JPG Meine erste Pizza in Italien. Ein wenig Frustbewältigung nach meinem ersten und letzten wirklich negativem Erlebnis auf der ganzen Reise.

   

Tag 10, 10.09.2015: St. Vincent - Verres



Am nächsten Morgen hatte ich mich wieder herunter gekühlt. Dank meines Zeltes hatte ich letztlich kein Problem gehabt und so zog ich mit guter Laune und entspannt weiter.
Auf dem Markt kaufte ich noch ein paar Trauben und dann tauchte ich wieder ein in die Stille des Weges. Auch St. Vincent verschwand langsam und der Pfad wand sich versteckt und manchmal lauschig und schattig am Hang entlang. Es wurde heiß und ich füllte bei jeder Gelegenheit die Wasserflaschen nach.
In Montjovet führte der Weg direkt über den Platz zwischen Kirche und Parrocchia. Unter einem schattigen Arkadengang gab es ein paar Bänke. Da ich langsam vor Schweiß triefte ließ ich mich zu einer kleinen Pause nieder. Ein alter Herr kam auf mich zu und begrüßte mich freundlich. Es war der Pfarrer und er lud mich auf ein Glas Wein ein. Der Wein war kühl. Es sei ein guter Tokajer aus Istrien erfuhr ich. Wir unterhielten uns ein wenig. Etliche Pilger kämen hier durch, die meisten Deutsche, dann Franzosen. Aber er könne überhaupt nicht verstehen, warum die Pilger sich denn heute so mühsam durch die Hügel quälten. Zu früheren Zeiten hätten Pilger doch immer den einfachsten Weg im Tal genommen. Ein weiteres Glas lehnte ich dankend ab und machte mich wieder auf den Weg. Er sah mir nach und wirkte ein wenig einsam.
Der weitere Weg war zunächst sehr schön und interessant. Doch dann kamen heftige Passagen, die ich nur mühsam überwinden konnte. Ewige Steigungen und gefährliche Gefälle. Auch der Wein saß mir in den Knochen. Bei Regen oder für etwas gehandicapte Menschen schienen mir diese teilweise unwegsamen Wegstücke äußerst gefährlich. Nach einigen wirklich tollen Aussichten ging es dann noch einmal richtig steil und lang ins Tal hinunter. Ich hätte es schon in Montjovet tun sollen! Es war eine Tortur! Der alte Weg im Tal wäre sicher die bessere Wahl gewesen.
Ab Toville dann endlich flaches Gelände. Kurz vor Verres traf ich Stefano aus Brescia. Er war in Montjovet abgestiegen und problemlos komfortabel auf dem alten Weg im Tal hergelaufen. Wir gingen gemeinsam zum Il Casello. Es lag etwas versteckt neben dem Bahnhof.
Als wir eincheckten kamen plötzlich Marijke und Geri durch die Tür. Ich konnte es nicht fassen und sie auch nicht. Lautstarke Begrüßung, welche Freude. Es war ein so gutes Gefühl! Wir kannten uns ja kaum doch der gemeinsame Weg schafft Verbundenheit. Dieses wunderbare Gefühl und die Freude des unerwarteten Wiedersehens sollte ich noch oft haben und ich habe es immer genossen. Auf diesem Pilgerweg fand sich eine kleine Gemeinschaft von Menschen, die sich mochten und vielleicht sogar Freunde waren. Das war das Besondere, das Einmalige dieser Pilgerwanderung. So etwas hatte ich bisher auf meinen vielen anderen Wanderungen noch nicht erlebt.


DSC09041_800.JPG Ich liebe Märkte! Ich kaufte etwas Obst und schaute mir die Köstlichkeiten des Landes an.

DSC09043_800.JPG Ein letzter Blick zurück auf St. Vincent.

DSC09045_800.JPG Die weiß-rote Wegmarkierung. Wer ihr folgt läuft auf der "offiziellen" Via Francigena, kurz VF. Es ist allerdings oftmals nicht die einzige Wegführung und auch nicht immer die beste. Ich lernte bald, dass sorgfältiges Kartenstudium vor jeder Tagesetappe sinnvoll ist und das man manchmal seinen eigenen Weg gehen sollte. Das tat ich etliche Male und es war für mich immer die bessere Variante.
Darüber ein vollkommen sinnfreier Aufkleber der AIVF. Ähnlichen Unfug veranstaltet in manchen Bereichen auch EuroVia. Freunde, lasst den Blödsinn!

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Der Weg war abwechselungsreich, ...
DSC09049_800.JPG ... oft irgendwie lauschig und ...

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... schön zu gehen. Es hatte schon was, sich auf diese Weise einem der Dörfer zu nähern.

DSC09057_800.JPG Diese wirkten allerdings meist wie ausgestorben.

DSC09058_800.JPG Der Pfarrer von Montjovet lud mich zu einem Gläschen Tokajer ein. Über die neuen Wege der modernen Pilger konnte er nur den Kopf schütteln.

DSC09060_800.JPG Und endlich ging es dann ins Tal hinab. Der Weg war steil und mühsam und ging richtig in meine wunden Füsse. Im Tal ging es dann endlich mal ohne große Anstrengungen weiter.

DSC09061_800.JPG Und dann waren Stefano und ich kurz vor dem Il Casello in Verres. Stefano hatte ich kurz zuvor kennen gelernt.
Il Casello war eine ordentliche Unterkunft und bot Übernachtung mit Frühstück. Auch Abendessen war möglich. Ich nutzte alles und war sehr zufrieden.

   

Tag 11, 11.09.2015: Verres - Pont St. Martin (Camping Mombarone)



Der Weg dieses Tages war unspektakulär. Er führte mich z.T. am Fluss entlang und recht oft neben der Straße. In der Luft hing Hochnebel und der Tag kam mir irgendwie düster und bedrückend vor. Von den Bergen hatte ich langsam genug. In dieser Depri-Stimmung näherte ich mich der beeindruckenden Festung von Bard. Die hing bei dieser Stimmung wie eine finstere Drohung über dem Tal. Unwillkürlich kam mir der Vergleich mit "Minas Morgul" aus dem Herrn der Ringe in den Sinn.
Irgendwo auf der Straße traf ich dann auf Erma aus Namibia, einer offenkundig recht erfahrenen Pilgerin. Wir plauderten ein wenig und dann zog sie im geschwinden Pilgerschritt weiter. Wie der Zufall es wollte trafen wir uns dann doch noch auf dem Campingplatz hinter Pont St. Martin wieder und hatten noch einen schönen Abend.


DSC09064_800.JPG Von Verres ging ich einige Kilometer an der Hauptstrasse entlang. Von den Pfaden am Hang hatte ich die Nase voll. So näherte ich mich der eindrucksvollen Festung von Bard.

DSC09068_800.JPG Über diese hübsche Brücke ging es durch den Ort und ...

DSC09069_800.JPG ... später an der Festung vorbei. So beeindruckend das Bauwerk ist, so erdrückend ist es auch. Der ganze Ort, ja das ganze Tal schien sie unter diesem Koloss zu ducken. So interessant das Teil ist, ich fühlte mich in seiner Reichweite unwohl. Irgendwie hatte ich das Gefühl, erstickt zu werden. Ich war froh, als ich sie nicht mehr sah. Vielleicht lag es ja auch an dem grauen Tag.

DSC09074_800.JPG Ein Stück hinter der Festung dann ein römisches Artefakt aus der Normalsicht, d.h. rechts läuft die viel befahrene Straße.

DSC09077_800.JPG Und so sieht das dann auf Prospektfotos für Touris aus. Hier führte eine römische Straße entlang. Man kann noch heute die Karrenspuren sehen und ...

DSC09078_800.JPG ... einen Meilenstein im Fels.

DSC09079_800.JPG Und wieder ging es durch eine der pittoresken Ortschaften.

DSC09088_800.JPG Vor Pont St. Martin machte ich gerade Pause, als sie auftauchte. Erma war eine erfahrene Pilgerin aus dem fernen Namibia. Sie war richtig gut drauf und zeigte mir ihre Infos über den Weg. Von ihr lernte ich zwei Dinge:
Du mußt dir deinen eigenen Camino machen, sprich, klebe nicht sklavisch an offiziell vorgegebenen Wegen, denn die sind manchmal zweifelhaft.
Und vor dem Hintergrund meiner Fußprobleme: Gewöhn dich dran, irgendwas tut immer weh!
Gute Ratschläge, die ich nicht vergaß.

DSC09083_800.JPG Noch ein ein kurzer Blick in den Führer und dann war sie schon wieder fort, in einem Wahnsinnstempo. Ich traf sie am Abend auf dem Campingplatz wieder und wir unterhielten uns prächtig. Doch am nächsten Morgen war sie fort und ich sah sie nicht wieder. Ich hörte nur immer wieder von ihr und las ihren Namen in Gästebüchern. Ciao Erma ...

DSC09091_800.JPG Als ich dann durch Pont St. Martin ging tauchte irgendwann die namensgebende Brücke auf.

DSC09092_800.JPG Sehr löblich! So was fand ich später immer wieder.

DSC09093_800.JPG So bauten sie, die alten Römer. Sie ist 2000 Jahre alt und immer noch in Betrieb. Verglichen damit sind heutige Brücken manchmal schon bei ihrer Fertigstellung Schrott.

DSC09097_800.JPG Ein paar Kilometer hinter Pont St. Martin führte der Weg durch den Campingplatz Mombarone. Ich blieb eine Nacht hier und fühlte mich sehr wohl.

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Unter den Arkaden gabs reichlich Platz mit Stühlen und Bänken. Und es gab reichlich Steckdosen für den Treibstoff des Smartphonezeitalters: Ladestrom! Später beobachtete ich in den Pilgerherbergen, dass der erste Blick im Zimmer bei vielen Pilgern den Positionen der Steckdosen galt. So hielt ich es ehrlich gesagt auch. König war der, der im Fall des Falles einen kleinen Verteilerstecker dabei hatte.

DSC09098_800.JPG Ich konnte dort sogar mein Abendessen kochen. Erma und ich saßen hier noch lange, klönten und verbesserten die Welt.

DSC09102_800.JPG Der Hund konnte gar nicht genug kriegen vom würzigen Geruch meiner Füsse.

   

Tag 12, 12.09.2015: Pont St. Martin - Ivrea



Erma war am nächsten Morgen fort. Sie war ganz früh aufgebrochen und ich fand den Wohnwagen, den sie für die Nacht gemietet hatte, nur noch leer vor. Schade irgendwie. Ich hätte mich gern von ihr verabschiedet, denn sie war eine wirklich angenehme Person.
So trank ich meinen Caffe Americano allein und gönnte mir ein gefülltes Riesencroissant. Übernachtung und Frühstück kosteten dann zu meinem Erstaunen nur 11 €. Dieser Platz war nicht nur recht schön, er war auch preiswert.
Irgendwann brach ich auf. Der Weg war unspektakulär und einfach zu gehen. Bei Borgofranco zogen sich die Berge dann endgültig zurück und ich vermisste sie nicht. Bei drückender Hitze zog ich in Ivrea ein. Der Ivrea Canoa Club hielt nicht nur Übernachtungsplätze bereit, er betrieb ein richtiggehendes Ostello. Es lag günstig. Nur ein paar Gehminuten entfernt konnte man Essen gehen oder in einem Riesensupermarkt (täglich geöffnet!) einkaufen.
Auf dem Zimmer inspizierte ich erst einmal meine Füsse. Sie heilten, waren aber immer noch offen und schmerzten noch übel.  Ich  teilte das Zimmer mit einem Argentinier, der auf dem Weg von Rom nach Santiago war und einem anderen Mann, der nicht reden wollte.
Am Abend klopfte es forsch an der Eingangstür. Es waren zwei Ladies aus Deutschland. Sie waren bereits angemeldet und so ließ ich sie ein. Später beim Abendessen unterhielten wir uns ein wenig. Sie kamen aus dem Ländle und kündigten für den nächsten Tag Regen an. Egal, Hauptsache keine Berge mehr.

Ich zog für mich ein wenig Bilanz. Würde ich noch einmal den Weg bis hierher laufen, dann würde ich am Grand St. Bernard beginnen. Nach meinem Gefühl hat die Schweiz kein Interesse an Pilgern. Sie geben einfach zu wenig Geld aus.
Der Weg nach Aosta hinunter war herrlich. Durch das weitere Aostatal würde ich immer wieder intensiv nach Wegalternativen schauen, denn die offizielle Wegführung über die nördlichen Talflanken war nicht immer sinnvoll, oft unnötig Kraft raubend und an einigen Stellen nach meiner Einschätzung auch gefährlich.
Die Menschen im Tal sprechen oft Französisch und scheinen sich zuweilen eher als Franzosen, denn als Italiener zu fühlen. Ein Erbe der savoyischen Zeiten.



DSC09103_800.JPG Am nächsten Morgen ging es weiter und langsam veränderte sich das Aostatal.

DSC09104_800.JPG Ich mag diese kleinen Dinge am Wege ...

DSC09106_800.JPG ... und diese malerischen Ecken, die man hier immer wieder findet.

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Das Tal wurde immer weiter und langsam wichen die Berge an den Flanken zurück und wurden kleiner.

DSC09107_800.JPG Ich fragte mich, was diese Pylone wohl für eine Bedeutung hätten.

DSC09109_800.JPG Einige Zeit später fand ich die Antwort. Sie waren Stützen für Holzgerüste, auf denen der Wein ranken konnte. Eine mir neue Anbaumethode.

DSC09111_800.JPG Auf jeden Fall gedieh der Wein hier gut, wie man an diesen prallen Trauben sieht.

DSC09115_800.JPG Und endlich tauchte Ivrea auf. Ich war froh, dass ich endlich aus dem Tal heraus kam. Als Bewohner des Flachlandes mag ich mich auf Dauer nicht in den Begrenztheiten von Bergregionen aufhalten. Der Weg durch Ivrea kam mir lang vor, doch irgendwann war ich am Eingang zum Canoa Club Ivrea. Zu übersehen war er ja eigentlich auch nicht. Hier musste man einfach nur den kleinen Weg bis zum Ende durchgehen.

DSC09114_800.JPG Dort war der Empfang freundlich, die Zimmer sauber und freundlich ....

DSC09119_800.JPG ... und mit Blick auf die Trainingsstrecke des Clubs.





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  © Hartmut Henkel - erstellt: 05.11.2015