.:  Der Landgänger  :.



Ich war dann auch mal weg ...

Auf der Via Francigena von Lausanne nach Rom


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Pilgerei bedeutet meist ein straffes Programm, ohne Müßiggang, aber durchaus mit Muße. Pilgerei bedeutete jeden Tag ein weiteres Stück eines Weges laufen, jeden Tag ein neues Ziel erreichen. So eine Reise befriedigt durchaus touristische Bedürfnisse, allerdings mit gewissen Einschränkungen.
So hätte ich gern noch einen weiteren Tag in Pavia verbracht, aber es ging weiter. Laura und ich tauchten immer tiefer in die Poebene ein, überquerten den Fluss mit Danilo Parisi, dem Pilgerfährmann, und mit unseren Freunden. Dann noch einmal ein langes Stück bis Piacenza Montale und Fiorenzuola d'Arda. Dort trennten sich unsere Wege, denn Laura war deutlich flotter auf den Füssen als ich und ich mochte sie einfach nicht länger aufhalten. Also nahmen wir am nächsten Morgen mit leichter Wehmut Abschied voneinander, blieben allerdings über WhatsApp weiter in Kontakt. Hin und wieder las ich noch in den Gästebüchern der Pilgerherbergen ihren Namen.
Laura, Du warst eine wunderbare Wegefährtin und eine tolle Kameradin. Es war schön, Dich kennengelernt zu haben und mit Dir Wandern zu dürfen!
In Fidenza stieß ich wieder auf Gerben und  Wiebe, die "Flying Dutchmen", wie ich sie inzwischen getauft hatte.  Von dort ging es Richtung Apennin und auch Agathe und Laurent sowie Dominique tauchten wieder auf und schließlich Aurélie, eine Französin aus der Bretagne. Das wir bis zum Ende in Rom mehr oder weniger gemeinsam laufen sollten, war auch so einer dieser seltsamen Zufälle.
Der Weg von Sivizzano nach Cassio erwies sich als sehr mühsam. Es war heiß, meine Füsse machten mir immer noch Probleme und der Weg war in Teilen wirklich hart für mich. Von Cassio ging es gleich weiter nach Berceto und von dort letztlich bis kurz vor den Passo Chisa, genauer zum Ostello Chisa, das kurz vor dem Pass liegt.
Bis auf das Stück zwischen Sivizzano und Cassio war der Aufstieg nicht besonders anstrengend und bot hinter Cassio schöne Blicke ins Land.

Tag 19, 19.09.2015: Pavia - Santa Cristina


Pavia ist eine sehenswerte Stadt, nur hatte ich leider nicht die Zeit, sie zu durchstreifen. So nahm ich auch nur eher flüchtige Eindrücke mit, als ich mich am nächsten Morgen auf den Weg nach Santa Cristina machte.
Es wurde wieder heiß und irgendwann am späten Vormittag hörte ich Schritte hinter mir und drehte mich um. Agathe und Laurent waren wieder da! Eine kurze aber freudige Begrüßung und dann waren sie auch schon wieder fort. Und in der Pilgerherberge in Santa Cristina gabs die nächste Überraschung: Laura! Und Gerben und Wiebe, die jedoch ein anderes Quartier hatten. Seit dem Grand St. Bernard hatte ich sie nicht mehr gesehen, ja eigentlich geglaubt, sie überhaupt nicht mehr wieder zu sehen. Aber das galt auch für sie, denn sie hatten ja meine Fußprobleme mitbekommen und waren davon ausgegangen, dass ich längst hatte aufgeben müssen. Das hatten auch Agathe und Laurent angenommen.
So feierten wir alle unser unerwartetes Wiedersehen und meine Durchhaltevermögen mit einer mächtigen Pizza und "Birra Moretti", unserem Lieblingsbier inzwischen.

DSC09350_800.JPG Über diese Brücke gings von Pavia Borgo, so heißt Pavias Vorstadt auf der anderen Flussseite, in die Stadt hinein.
DSC09355_800.JPG Sie ist der alten historischen Brücke nachempfunden, deren Reste man neben der Brücke noch erkennen kann.
DSC09358_800.JPG Gegen den kleinen Hunger zwischendurch ging ich immer wieder gern in ein Panificio, einer Bäckerei also, in der man auch leckere Sachen wie Olivenbrot und Pizza vom Blech bekommt. Die Preise richten sich nach dem Gewicht.
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Panificios sollte man nicht mit diesen Bäckereien verwechseln. Gebäck und sonstiges Süßzeugs ist zwar superlecker, läßt aber meist auch im gleichen Maße das Portemonnaie schwinden, wie das Hüftgold wachsen.
DSC09363_800.JPG Derartige Gassen gibts viele in Pavia - und überall irgend etwas Interessantes zu entdecken.
DSC09368_800.JPG Langsam wanderte ich aus der Stadt hinaus, an einer Kaserne! der Finanzpolizei vorbei, an diesem Kanal und ...
DSC09369_800.JPG ... dann hatte mich das platte Land wieder.
DSC09370_800.JPG Agathe und Laurent tauchten unerwartet wieder auf. Sie waren über dieses Wiedersehen noch erstaunter als ich, denn sie wähnten mich wegen meiner wunden Füsse schon längst wieder zuhause.
DSC09372_800.JPG Ich komme von der Nordseeküste und habe einige Sturmfluten erlebt. Trotzdem fand ich diese Hochwassermarken an einem Haus recht gruselig. War der Po hier doch noch viele Kilometer entfernt.
DSC09373_800.JPG Fern am Horizont tauchten sie hier dann zum ersten Mal auf, die Berge des Apennin. Meine Begeisterung hielt sich in Grenzen.
DSC09374_800.JPG Santa Cristina war erreicht und neben der Kirche ...
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... der Zugang zum Ostello. Man muß auf den Hinterhof gehen und findet dort ...
DSC09376_800.JPG ... den Eingang zum Gemeindezentrum und damit zum Ostello. Und hier fand ich auch Laura wieder, denn in Pavia hatten sich unsere Wege aufgrund unterschiedlicher Unterkünfte getrennt. Die Pilgerunterkunft war ok aber auch nicht mehr. Im großen Saal nebenan fand an diesem Abend eine Trauerfeier für ein Mitglied der kameruner Gemeinde statt und so schlief ich mit wunderschönen afrikanischen Chorgesängen und dem Klang kunstvoll geschlagener Trommeln ein.
IMG_1203.jpeg Aber vorher war noch Pizza Time! In Santa Cristina gabs die wohl preiswerteste Pizza der Tour. Für nur drei Euronen ein Riesenteil, dass sich zudem noch problemlos in die lange Schlange der "besten Pizzas, die ich je gegessen habe" einreihte.
   

Tag 20, 20.09.2015: Santa Cristina - Orio Litta


Laura und ich beschlossen, wieder gemeinsam weiter zu gehen und so starteten wir am nächsten Morgen nach Orio Litta. Irgendwann kamen wir dann gründlich vom Weg ab - das passiert, wenn man vor lauter Gerede nicht mehr auf die Markierungen achtet - und waren kurzfristig "lost in the djungle", wie wir es in Anlehnung an Lauras Überlebenstraining in den Reisfeldern nannten. Dank "Locus" und meiner Karten von OpenAndromaps fanden wir wieder heraus und sie nannte mich "my hero". Das war zwar schmeichelhaft, aber warum hatte ich nur das Gefühl, dass sie mich nett ein wenig auf den Arm nahm?
So erreichten wir schließlich in der Hitze des Nachmittags Orio Litta. Als wir uns dem Ort näherten entdeckten wir auf dem Hügel ein einladendes langestrecktes Gebäude im gotischen Stil mit Glockenturm. Das müßte toll sein, darin zu übernachten, dachten wir unisono und zu unserem großen Erstaunen ging der Wunsch in Erfüllung.
Nur eines grämt mich auch heute noch. Aus irgend einem Grund versäumte ich Fotos von dem einmaligen Design-Bad im Keller zu machen, dem wirklich schönsten und originellsten Bad, dass ich auf all meinen Reisen je zu Gesicht bekam.

DSC09381_800.JPG Irgendwann am späten Vormittag hatten wir nicht mehr so genau auf die Markierungen geachtet und standen irgendwo mitten in der Pampa. Wir waren "lost in the djungle". Zurück gehen wollten wir allerdings auch nicht und so kam mein Smartphone zum Einsatz. Dank seiner kamen wir ohne allzu große Mühe und Zeitverlust wieder in bekanntes Terrain. Das dazu noch einige Jäger nur ein paar -zig Meter von uns entfernt herum ballerten, sorgte zusätzlich für ein übles Gefühl - obwohl wir wohlweislich Kontakt mir ihnen auf genommen hatten.
DSC09389_800.JPG Das Castello Procaccini. Ganz schön pompös, aber irgendwo auch sehenswert. Bewohnt wurde das Häuschen von einem Rechtsanwalt und seiner Frau Rechtsanwältin. Wen mochten die wohl vertreten, wenn die Honorare eine derartige Bleibe abwarfen? Laura hätte es zu gern besichtigt.
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Diese Wegmarkierungen kurz vor Orio Litta gehörten sicherlich zur Luxusklasse. Sie waren aus Marmor! So was gabs ja noch nicht eimal in Carrara.
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Neben den Wegmarkierungen waren auf dem Dammweg noch alle paar hundert Meter diese Marmorplatten in den Boden eingelassen. Laura schimpfte, dass man statt dieses Unfugs lieber ein paar schöne Bänke für müde Pilger hätte aufstellen sollen. Recht hatte sie, meine Lieblingsitalienerin!
DSC09394_800.JPG Langsam erschien Orio Litta in der Ferne. In der Po-Ebene braucht man einen guten Sonnen-/Regenschirm, genügend zu Trinken und vor allem reichlich Geduld.
DSC09399_800.JPG Und so schien es gefühlt wieder unendlich zu dauern, bis wir so nahe waren und ...
DSC09401_800.JPG ... nochmals, bis wir endlich da waren. Wir staunten nicht schlecht: Das Ostello befand sich in dem schönen Gebäude, das wir kurz zuvor noch von unterhalb des Ortes bewundert hatten.
DSC09404_800.JPG Empfangen wurden wir von dieser reizenden Lady, ...
DSC09405_800.JPG ... die uns dann alle Räumlichkeiten zeigte. Hier ist man schon auf reichlich Pilger eingestellt.
DSC09407_800.JPG Laura war natürlich gleich hin und weg von dem heimeligen Schlafraum ganz oben im Turm. Man hatte von dort rundum einen herrlichen Ausblick über Stadt und Land. Wir waren die Ersten im Ostello, also zogen wir dort ein. Ich nannte unser schönes Domizil scherzhaft "Honeymoon-Suite", was mir einen strengen Blick und die Bemerkung einbrachte, dass ich schon etwas frech wäre. Recht hatte sie - und ich wars gern!
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Der Schlafraum war schön eingerichtet, ...
DSC09412_800.JPG ... unter dem stilvollem, alten Gebälk der Turmhaube.
DSC09416_800.JPG Durch die geöffneten Fenster ging ein kühlender Luftzug. Eine Wohltat nach der brütenden Hitze der Felder.
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Agathe und Laurent genossen den stillen Abend an diesem schönen Ort. Sie hatten Dominique mitgebracht, einem Franzosen aus der Gegend von Lille. Ein netter Kerl, nur sein Nordfranzösisch war so gar nichts für meine auf Schulfranzösisch geeichten Ohren. Ich nannte es mal verzweifelt despektierlich "Manschfranzösisch". Tschuldigung, Dominique, aber wenn Du Dir Mühe gegeben hast habe ich Dich immer wunderbar verstanden - jedenfalls soweit meine Vokabeln reichten ...
DSC09419_800.JPG Langsam senkte sich irgendwann die Abenddämmerung über diesen heimeligen Ort.
DSC09422_800.JPG Es war wieder Zeit für "die beste Pizza meines Lebens". In der kleinen Pizzeria des Ortes warteten wir auf die Prachtstücke. Hier ein schönes Beispiel dafür, wie charmant Italienerinnen ungeduldig sein können. Ich hörte, dass dies vollkommen anders sei, wenn sie richtig wütend sind. Das war Laura zum Glück nie. Zumindest nicht mit mir. :-)
DSC09423_800.JPG Einfach freundliche Menschen. Er liebte sein Handwerk und das schmeckte man. Wir beide vertilgten zwei riesige Pizzas nebst vier 0,66-Liter Flaschen Birra Morretti. Wie schaffte Laura es bloß, trotz solcher Völlereien ihre tolle Figur zu halten?
   

Tag 21, 21.09.2015: Orio Litta - Piacenza Montale

 
Die Überquerung des Po stand an und wir alle beschlossen, die Dienste des Pilger-Fährmanns Danilo Parisi in Anspruch zu nehmen. Wir hatten ihn schon am Abend zuvor angerufen und am Morgen mussten wir nur noch  die rund vier Kilometer bis zur Anlegestelle zurücklegen. Nach dem inzwischen obligatorischen Frühstück in der Bar des Ortes machte sich dann eine kleine Karawane in der Kühle des Morgens auf den Weg. Die Sonne stand noch tief und an einigen Stellen webten noch sanft faserige Nebelschleier über den frisch gepflügten Äckern.
Pünktlich trafen alle an der Anlegestelle ein und pünktlich erschien auch Danilo.
Das Boot war schnell besetzt und dann genossen wir auch schon die rasante Fahrt auf dem glitzernden Strom. Am anderen Ufer angekommen erhielten wir einen umfassenden Vortrag über die Geschichte der Via Francigena in dieser Gegend. Ich verstand nur wenig, aber es war ein Genuss Danilo zuzuhören und zuzusehen. Dann führte er uns zu seinem Kleinod von Haus und wir fanden Platz in seinen umfangreichen und offenkundig lückenlosen Aufzeichnungen, die er von Anbeginn seiner Fährmannstätigkeit führte. Nachdem wir dann alle unsere Stempel hatten, brachen wir auf. Wir waren uns alle einig, wenn irgend möglich sollte man auf diese Art den Po überqueren!
In Piacenza trennten sich wieder viele Wege. Einige wollten dort übernachten, andere weiter gehen. Laura und ich hatten beschlossen, im "Ostello Piacenza-Montale" zu übernachten. So schauten wir uns also später ein wenig die durchaus sehenswerte Altstadt an, machten etwas Pause und nahmen dann den unangenehmen Weg nach Montale hinaus in Angriff. Worin der spirituelle Sinn endloser Latschereien durch die gesichtslosen Speckgürtel der Städte am Wege liegen soll, hat sich mir bis heute noch nicht so ganz erschlossen, eigentlich gar nicht!
Die schöne Pilgerherberge entschädigte dann allerdings für einiges.

DSC09424_800.JPG Wo trifft man sich morgens? Klar, in der Bar! Da wir alle mit der Fähre übersetzen wollten, sammelten wir uns zwangsläufig dort. Mein Rat: Wenn das Frühstück nicht fest im Preis für die Übernachtung inbegriffen ist und die nächste Bar nicht zu weit entfernt ist, immer in der Bar frühstücken. Da gibts lecker Kaffee und entweder herrlich frische Brioches/Croissants (pur oder lecker gefüllt) und/oder ordentliche Panini. Je nach Region und was dort gegessen wird, kommt man für drei bis fünf Euronen wirklich etwas Ordentliches.
DSC09426_800.JPG Orio Litta bot auch beim Aufbruch noch kleine Schmankerl.
DSC09427_800.JPG Die tiefstehende Morgensonne überschüttete uns in den Feldern mit einem fahlen gold-orange, das immer wieder die schwebenden Nebelfetzen über den Feldern aufleuchten ließ. Es war magisch.
DSC09431_800.JPG Höflich wie immer machten die "Flying Dutchmen" Platz für die dickste Karosse des Morgens ...
IMG_1227_800.jpeg ... und weiter gings Richtung Fähre.
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Laura "La Sportiva" schaffte es sogar um diese Zeit schon gut drauf zu sein.
IMG_1235_800.jpeg Durch die Po-Ebene wandern ist vor allen Dingen eine Sache der mentalen Stärke.
IMG_1262_800.jpeg Am Fähranleger noch einmal ein kurzer Austausch von Informationen und ...
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... dann kam auch schon Danilo Parisi, der Pilger-Fährmann angerauscht. Geradezu teutonisch pünktlich!
DSC09448_800.JPG Frauen und schnelle Boote, ...
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... ja, ja, das mochten sie, unsere Mädels.
DSC09452_800.JPG Danilo ist so etwas wie eine Institution. Seine Fähre ist ein 1-Mann-Unternehmen, mit dem er ein wenig Geld verdient und das ist auch ok so. Es gibt immer wieder Nörgler, die ihm dies ankreiden. Wer das Fährgeld nicht bezahlen will, der kann ja zu Fuß gehen oder mit der kommunalen Fähre fahren, die allerdings recht eigenartige Betriebszeiten hat. Danilo jedenfalls kommt nach Vereinbarung - und er ist halt pünktlich.
DSC09456_800.JPG Der Po ist, wenn er genügend Wasser führt, ein recht beeindruckender Fluss.
DSC09455_800.JPG Erst recht für so eine Binnenland-Landratte aus der Schweiz.
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Danilo hatte viel über die Geschichte der Via Francigena zu erzählen und ...
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... wohnte in einem herrlichen Haus.
DSC09469_800.JPG Überall fanden sich liebevoll arrangierte Accessoires ...
DSC09473_800.JPG ... aus der Region ringsherum. Einfach ein Ort zum Wohlfühlen.
IMG_1238_800.jpeg Dann kam etwas ganz wichtiges: Wir alle vermerkten uns in seinem Journal und bekamen einen wunderschönen Stempel für unsere Credenziales.
DSC09477_800.JPG Danilo hatte sein Fährgeschäft zunächst als Liebhaberei begonnen und von Anfang an Buch geführt. Er besaß wundervolle Fotos von seinem alten Boot und den frühreren Zeiten. Auch hatte er sein Journal Jahr für Jahr akribisch ausgewertet und so konnten wir recht gut die Entwicklung der Via Francigena erkennen. Die jährliche Anzahl derer, die er übersetzte, bildet eine fast exponentiale Kurve. Ich vermute, dass auf der Via Francigena bald ein vergleichbarer Betrieb ähnlich dem spanischen Camino Frances herrscht. Ich glaube, wir surften noch vor der Welle und war froh darüber.
DSC09478_800.JPG Pilgers Schicksal: Immer wieder hieß es aufbrechen, leider auch von diesem schönen Ort.
DSC09480_800.JPG Und verloren uns wieder in der weiten Landschaft der frisch gepflügten Feldern, mit dem so typisch fetten, schweren Boden der Po-Ebene. Nächste Station: Piacenza.
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Vor Piacenza dann noch diese beeindruckende Eisenbahnbrücke über einen Nebenfluss des Po.
DSC09490_800.JPG Dann erreichten wir endlich die historische Innenstadt. Es lohnte sich, sich ein wenig umzuschauen ...
DSC09488_800.JPG ... oder etwas abseits des touristischen Getriebes Pause zu machen
DSC09495_800.JPG Die Pilgerherberge in Picanza-Montale befand sich in einem unscheinbaren Haus mit ebenso unscheinbarem Eingang direkt an der Hauptstraße. Innen hörten wir jedoch kaum etwas vom tosenden Lärm. Den Schlüssel hatten wir noch beim Pfarrer erhalten, der sich gerade zu einer Beerdigung aufmachen wollte. Alles war toll renoviert, Bad und Küche schön eingerichtet und gut ausgestattet. Da Laura noch besser drauf war als ich, stiefelte sie noch einmal zum Einkaufen los. Es gab ein Riesen-Omelett a la Laura und eine Unmenge Salat. Herrlich!
   

Tag 22, 22.09.2015: Piacenza Montale - Fiorenzuola d'Arda


Am nächsten Morgen gings weiter nach Fiorenzuola d'Arda. Die Karte versprach eine Fortsetzung des schier endlosen Weges aus Piacenza heraus und dann noch entlang der vielbefahrenen Hauptstraße. Erst später würde es dann unspektakulär durch die ebenso endlosen Felder der Po-Ebene gehen. Und so kam es dann auch.
Das Einzige, was dieses eintönige Einerlei durchbrach, war die Überquerung zweier kleiner Flüsse. Wir wußten, dass sie kommen würden, hatten aber in dieser platten Landschaft nicht so richtig daran geglaubt. Der erste Fluss war so flach, dass wir nicht einmal unsere mit Goretex ausgestatteten Schuhe ausziehen mußten. Beim zweiten floss das Wasser Knöchelhoch und somit war Waten angesagt. Kein Problem, nur dem Uferschlamm auszuweichen war etwas tricky. Bedenken hatte ich nur wegen der zwar langsam verheilenden, aber immer noch offenen Wunden unter meinen Füssen.

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Solche Streckenabschnitte lösten nicht unbedingt Jubelstürme aus. Aufmerksamkeit war angesagt!
DSC09498_800.JPG Und bei aller Größe der Landschaft, das war nicht gerade der Bringer. Aber solche Streckenteile gehören beim Pilgern dazu, wie die Flaute zum Segeln. Und in der Ferne wurde der Apennin langsam größer.
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Die erste Flussdurchquerung war harmlos. Sie erschien recht unvermittelt.
IMG-20151017-WA0000_800.jpg Die zweite Flussüberquerung war ebenso unproblematisch, wir mussten nur die Schuhe ausziehen. Wenn es hier allerdings zuvor tagelang geregnet hat, dürfte das komplett anders aussehen. Ich denke, dann schießt hier richtig Wasser durch. Im Extremfall könnten die beiden Flüsse unpassierbar sein.
   

Tag 23, 23.09.2015: Fiorenzuola d'Arda - Fidenza


In Fiorenzuola d'Arda trennten sich Lauras und meine Wege, und dieses mal endgültig. Es war kein leichter Abschied, denn wir hatten uns gut verstanden. Aber ich mußte Laura nun ziehen lassen. Sie war schneller als ich unterwegs und die ständige Rücksichtnahme auf mich belastete sie. Natürlich hatte "la donna" sich nie beklagt, aber ich merkte es. Sie war eine klasse Kameradin und wir gingen als gute Freunde auseinander. Warum nur ging mir die nächste Zeit nicht das Lied "Laura non c'e ..." von Nek aus dem Kopf? Laura, die ersten Tage habe ich Dich schon sehr vermisst!
Der Weg unterschied sich nicht sehr von dem des Vortags, allerdings wurde es vor Fidenza langsam welliger.
Fidenza entpuppte sich dann als kleine Überraschung. Die Stadt hatte ein paar wirklich schöne Ecken. Der Bereich um den Dom herum und der Dom selbst waren schon sehenswert. Dort stieß ich übrigens auch wieder auf Wiebe und Gerben.

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Zu meinem Blues nach Lauras Weggang passte dann auch irgendwie dieses Anwesen hinter Fioronzuola d'Arda.
DSC09515_800.JPG Die Gestaltung hatte etwas vom herben Charme einer Bahnhofstoilette und wirkt auf mich wie gewollt, jedoch nicht so ganz gekonnt.
DSC09518_800.JPG Das Ding war derart trist, dass es mir etliche Fotos wert war. Der versehentlich umgesetzte Entwurf der durchgefallenen Diplomarbeit eines Landschaftsarchitekten. Meine Güte, war ich schlecht drauf!
DSC09519_800.JPG Auf einigen Feldern war die Tomatenernte  im vollen Gange und hier konnte ich sehen, wie das vor sich ging. Es waren enorme Mengen, die hier alle paar Augenblicke fortgefahren wurden.
DSC09522_800.JPG Die Erntemaschine machte fast alles automatisch. Nur beschädigte Früchte wurden noch von Hand aussortiert. Die Maschine ließ jede Menge brauchbarer Früchte auf dem Feld liegen. Jedoch war die Hinnahme ihres Verlustes offenkundig wirtschaftlicher, als sie einzusammeln.
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Die Tomaten sahen lecker aus und ich wollte sie unbedingt probieren. Ich durfte mir einige nehmen. Sie hatten einen hohen Fleischanteil und schmeckten äußerst aromatisch. Vermutlich wurden sie für die Herstellung von Tomatenmark verwendet. Der angenehm intensive Geschmack blieb noch lange Zeit in meinem Mund.
DSC09527_800.JPG Mitten in den Feldern ein riesiges Gutshaus, fast eine Burg. Der Weg führte direkt daran vorbei.
DSC09529_800.JPG Dieser unscheinbare Ort in Fidenza ist wichtig, denn nur über ihn findet man Einlass ins "Genocolo", einem Wohnheim der Caritas. Direkt neben dem Torbogen befindet sich die ein wenig schwer entdeckbare Touristeninformation, die mir den Schlafplatz vermittelte. Und nett, wie die Damen dort waren, reservierten sie mir auch gleich noch einen Platz im Ostello von Medesano, meinem nächsten Zielort.
DSC09530_800.JPG Das Genocolo lag gleich neben dem Dom und ich musste noch eine Weile warten, bis es geöffnet wurde.
DSC09531_800.JPG Und wer tauchte hier wieder unversehens auf? Meine beiden holländischen Freunde!
DSC09540_800.JPG Schon von außen war der Dom herrlich anzuschauen. Die mythischen Löwen trugen die Säulen links und rechts des Portals.
DSC09538_800.JPG Die Portraleinfassung war in feinster Steinmetzarbeit gefertigt-
DSC09550_800.JPG Der Dom selbst ein filigranes Stück Backsteinarchitektur, wie man sie in Norditalien häufig findet.
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Die feine Ausfertigung  des Mauerwerks zieht immer wieder die Blicke auf sich.
 DSC09545_800.JPG Sogar nachts, denn ich hatte direkten Blick von meinem Zimmer auf dieses Bauwerk.
   

Tag 24, 24.09.2015: Fidenza - Medesano


Der Weg aus Fidenza hinaus war am nächsten Morgen richtiggehend grün, wie ich es noch in keiner der durchwanderten Städte sah. So zog ich also unter den grünen Alleebäumen hinaus aus der Stadt. Das Land wurde zunehmend hügeliger und als ich mich irgendwann einmal zufällig umdrehte, stockte mir der Atem. Vor mir ausgebreitet am Horizont in weiter Ferne der Alpenhauptkamm! Alles war klar und intensiv zu erkennen, unwirklich, unerwartet und unglaublich!
Unterwegs stieß ich wieder auf die Schweizer und Dominique und abend trafen wir uns alle wieder zum gemeinsamen Pizzaessen und auch die Flying Dutchmen waren wieder da.
Nach dem phantastischen Alpenpanorama hielt der Tag übrigens noch eine zweite Sensation für uns bereit: Eine Waschmaschine! Und so wurde unsere Wäsche an diesem Abend nicht nur sauber sondern rein.
 
DSC09553_800.JPG Unter grünen Bäumen gehts hinaus aus Fidenza. Eine willkommene Abwechselung fürs Auge.
DSC09557_800.JPG Whoowww! Rein zufällig drehte ich mich um und da waren sie, aufgetaucht wie ein Gespenst, die Alpen. Unfassbar! Unglaublich! Ich staunte mit offenem Mund. War ich 100,  150 oder vielleicht sogar mehr Kilometer entfernt?
DSC09573_800.JPG Da waren sie wieder und Agathe strahlte wie eigentlich immer. Für mich war es ein kleines Wunder, wann und wie wir alle uns immer wieder trafen.
DSC09576_800.JPG Das hügelige Apenninvorland hat einen ganz eigenen Reiz.
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Medesano in Sicht.
DSC09583_800.JPG So war es eigentlich immer, wenn wir die Pilgerunterkunft erreichten. Lang machen und die müden Füße von den Schuhen befreien.
DSCN1558_800.jpeg ... und anschließend irgendwann gemeinsam Essen gehen. In Medesano funktionierte der Besitzer einer kleinen Pizzeria sein Take-Away in ein Restaurant um und wir hatten einen großartigen Abend. Die Flexibilität und das Improvisationsvermögen der Italiener erstaunten mich immer wieder.
DSC09587_800.JPG Auch Agathe staunte nicht schlecht, denn die Damen lauschten ergriffen und förmlich gefesselt den blumigen Ausführungen Dominiques.
DSC09593_800.JPG Diese Franzosen! Es liegt offenkundig in den Genen, selbst beim eigentlich grundsoliden Dominique! ;-)
   

Tag 25, 25.09.2015: Medesano - Sivizzano


Hinter Medesano begann nach der Überschreitung des Taro der Anstieg zum Passo Chisa. Das Flusstal war eine halbe Wildnis aber schön zu gehen. Der dann folgende Weg nach Sivizzano erinnerte irgendwie eher ans Alpenvorland und führte meist an Straßen entlang.
 
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Morgendlicher Aufbruch in Medesano. Vor mir lief eine Pilgerin, die noch spät am Abend in Medesano angekommen war. Wir hatten sie jedoch nicht mehr zu Gesicht bekommen. Es war Aurélie! Hier sah ich sie zum ersten Mal - und verlor sie auch gleich wieder aus den Augen.
DSC09596_800.JPG Selfie der etwas anderen Art.
DSC09597_800.JPG Der Weg durch das Flusstal führte durch eine Wildnis und war eigentlich schön zu gehen.
DSC09599_800.JPG Die gute Ausschilderung machte die Orientierung leicht.
DSC09601_800.JPG Die Eisenbahnbrücke vor Fornovo di Taro.
DSC09603_800.JPG Na, wenn das keinen Mut macht!
DSC09605_800.JPG Der Taro. Wie mochte es hier wohl bei Hochwasser aussehen?
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Die Pilgerunterkunft in Sivizzano war etwas schwierig zu finden. Der Eingang lag in einer kleinen Straße hinter der Kirche.
DSC09609_800.JPG Diese war eine der schönsten, obwohl sie recht einfach war. Die Schlafplätze befanden sich in einem ausgebauten mittelalterlichen Kellergewölbe. Auch eine gut ausgestattete Küche gab es.
DSC09611_800.JPG Der Blick aus dem herrlich kühlen Schlafsaal in den hitzeflimmernden Innenhof.
DSCN1567_800.jpeg Ich war einer der ersten dort und begrüßte alle Nachfolgenden im Arkadengang, die Füsse schön in kühlem Wasser.
DSC09623_800.JPG Das tägliche Lüften der Schuhe.
DSC09619_800.JPG Und endlich bekam ich auch die geheimnisvolle Pilgerin vom Morgen zu Gesicht. Aurélie und Enrica, die quirrlige "Ostelliera" strahlten nur so in Kamera. Schade nur, dass Aurélie mir nicht erlaubt, ihr schönes Gesicht im hier zu zu zeigen. Das respektiere ich natürlich.
IMG_1325_800.jpeg Enrica hatte den Laden im Griff, war aber eine total Nette. Wir mochten sie alle. Allein schon wegen der originellen Unterkunft und wegen Enrica natürlich - Sivizzano ist eine Empfehlung.
DSC09632_800.JPG Abends wurde dann wieder gemeinsam gegessen. Da es im Ort nur eine Möglichkeit gab, hatten wir keine große Auswahl.
   

Tag 26, 26.09.2015: Sivizzano - Ostello di Chisa

 
Hinter Sivizzano wurde es dann richtig ernst. Zunächst wanderte ich noch recht moderat entlang der Straße bergauf, doch dann wurde es heftig. Nicht der Anstieg war das Problem, sondern die Beschaffenheit des Weges. Lange Zeit führte er steil, bröckelig und geröllübersät durch Füße mordende Erosionsrinnen bergauf . Ich schwitzte wie ein Affe und fluchte wie ein Kesselflicker. Später am Morgen hatte ich selbst dafür einfach nicht mehr Luft und Kraft übrig.
Aber dann gab es immer wieder diese reizvollen Ausblicke in eine Traumlandschaft mit diesen hinein geworfenen Dörfern. Ein Wechselbad der Gefühle.
Gegen Mittag war ich dann in Cassio. Bei einer Pause dort lockte das gegenüber liegende hübsche Ostello des Ortes, aber es war viel zu früh und mein Ziel war das Ostello Chisa. Also ging es in flimmernder Hitze weiter Richtung Berceto, zumeist entlang von Straßen. Lange Zeit lief ich so über einen Höhenrücken und hatte zu beiden Seiten einen weiten Blick ins Land. Nach den Strapazen vor Cassio fühlte ich mich jetzt richtig gut.
Am frühen Nachmittag war ich dann in Berceto. Die Suche nach einer Möglichkeit zu Versorgung gestaltete sich schwierig und ich blieb hungrig. Auch Berceto selbst überzeugte mich nicht so richtig. Vielleicht lag es einfach daran, dass ich nichts zu essen fand und mehr oder weniger nur durch den Ort hindurch ging.
Mein Weg zum Passo Chisa führte über einen schmalen Pfad und von dem Punkt, wo er die Passstraße kreuzte lief ich auf dieser weiter zum Ostello. So eineinhalb Kilometer vor dem Ostello hielt ein Wagen an und die Fahrerin fragte mich, ob sie mich mitnehmen könne. Ich stieg ein und erfuhr, das sie die Betreiberin des Ostello war. Zufälle gibts!
Im Ostello traf ich auf drei Pilger aus Münster in Deutschland und wir verbrachten einen recht beschwingten Abend bei erstklassigem Essen und guten Getränken.
Das Essen war einfach Spitze und mit 15 € auch ausgesprochen preiswert. Es gab Bruschetta (Vorspeise), mit einer herrlichen Kräutersauce (Primo), Fleisch mit würzigem Mus (Secondo), große Platte mit Schinken, Käse und Trauben und Nachtisch (Dolce). Dazu Wasser und Wein. Wir schwelgten nur so.

DSC09634_800.JPG Von Sivizzano führte der Weg zunächst über zumeist ruhige Nebenstraßen langsam hinauf gen Cassio.
DSC09636_800.JPG Der Weg wurde hier mit hübschen Terracotten gekennzeichnet.
DSC09638_800.JPG Und dann ging es so richtig hoch. Dieser Weg hier war harmlos, verglichen mit dem, was noch folgen sollte. Da hatte ich keine Puste mehr für Fotos - und keinen Nerv. Mal ging es durch dichte Wälder an steilen Hängen entlang, ...
DSC09639_800.JPG ... mal über wild verwucherte Höhenrücken ...
DSC09641_800.JPG ... und immer wieder vorbei an kleinen Dörfchen oder hindurch. Sie klebten wie Vogelnester in den grünen Hügeln.
DSCN1578_800.jpeg Diese Orte waren so klein, dass es keine Läden oder ähnliches dort gab. Sie wurden von rollenden Einkaufläden versorgt und auch wir nutzten diese willkommene Versorgungsmöglichkeit.
IMG_1335_800.jpeg ... und dann war erst einmal Pause.
DSC09645_800.JPG Schließlich tauchte ich wieder ein in die grünen Hügel des Apenninvorlands.
DSC09646_800.JPG Immer wieder führte der Weg dann auch entlang der Passstraße. Übrigens offenkundig eine Übungsrennstrecke für die Motorradbegeisterten ganz Norditaliens.
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Cassio tauchte in der Ferne auf, kunstvoll auf einen Hügelrücken drappiert.
DSC09651_800.JPG Italien wie aus dem Touri-Prospekt.
DSC09653_800.JPG Da ich gegen Mittag in Cassio ankam, hatte ich, wie in kleinen Städten üblich, den ganzen Ort für mich.
DSC09656_800.JPG Dieses hübsche Häuschen war das Ostello in Cassio. Die Münsteraner berichteten mir später, dass die Kühlschränke wohlgefüllt mit Schinken und Käse waren.
DSC09660_800.JPG Kleinode am Rande gab es reichlich. So diese kunstvolle Trockenmauer kurz vor Berceto.
DSC09661_800.JPG Der Abstieg nach Berceto hinein war noch recht malerisch, ...
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... Berceto selbst fand ich mehr als "Tote Hose", recht enttäuschend.



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  © Hartmut Henkel - erstellt: 12.12.2015