Ich war dann auch mal weg ...
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Auf der Via Francigena von Lausanne nach Rom
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Das
Aostatal lag hinter mir, die Poebene vor mir. Irgendwie war ich froh,
aus der Enge der Berge heraus zu kommen und freute mich auf flaches
Land. Andererseits hatte ich einiges über die Eintönigkeit schier
endloser Reisfelder gelesen. Was würde mich also erwarten?
Zunächst ging es noch durch das topographisch abwechselungsreiche
Vorland der Berge, doch dann wurde das Land immer ebener und
schließlich bretteben. Ich konnte wieder bis zum Horizont schauen - und
auf der anderen Seite des Po bereits den Apennin erkennen. In
Santhia trennten sich die Wege von Marijke und Geri und mir endgültig, doch im
Reisland lernte ich Agathe und Laurent sowie natürlich Laura kennen. Mit ihr
ging ich unerwartet noch eine ganze Weile gemeinsam des Weges und genoss es! Gemeinsam
erreichten wir Pavia.
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Tag 13, 13.10.2015: Ivrea - Chevaglia
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Beim
Frühstück saßen die beiden deutschen Ladies und mein schweigsamer
Zimmergenosse im Aufenthaltsraum. Ich hatte noch etliche Pfirsiche vom
Vortag übrig und verteilte diese. Auch vor meinen Zimmergenossen legte
ich einen und es war wie Regen in der Wüste. Er erstrahlte förmlich, nahm
den Pfirsich und konnte plötzlich sprechen. Er hieß Philippe, kam aus
Frankreich und wollte nach Rom. Nun hatte er Probleme mit irgendwas am
Schienenbein und musste wegen heftiger Schmerzen in Ivrea pausieren. Er
war ein netter Kerl und ich hoffte ihn irgendwann wieder zu sehen. Und
ein wenig schämte ich mich für mein schnelles Urteil - er hatte
einfach wegen seiner Schmerzen mit niemandem reden wollen.
Es regnete in Strömen und die Ladies wollten noch abwarten. Ich glaubte
aber nicht, dass es so bald aufhören würde und brach auf. Es war warm,
Wind wehte auch keiner und so spannte ich meinen Schirm auf und
marschierte los. Regenschirme sind unter solchen Bedingungen was
Feines: Man gart nicht im eigenen Saft in seinen Regenklamotten oder
unter
einem Poncho und man ist bei wechselnden Bedingungen immer schnell
"betriebsbereit". Später habe ich ihn noch ein paar mal genutzt. Zum
Pilgern würde ich auch künftig immer einen Regenschirm mitnehmen.
Von der offiziellen Streckenführung hatte ich erst einmal die Nase
gründlich voll und mich entschlossen, eine alternative Wegführung
südlich um den Lago Viverone herum zu gehen. Die Stadt lag bald hinter
mir, dann ging es kilometerweit an einem schnellfließenden Kanal
entlang und schließlich durch die kleinen Städtchen und Dörfer des
hügeligen Landes. Nach dem waldigen Südende des Sees führte der Weg zu
meinem Erstaunen durch riesige Kiwi-Plantagen. Ein insgesamt schöner
und abwechselungsreicher Weg - selbst bei Regenwetter. Inzwischen hatte
der Regen jedoch aufgehört und es war erstickend feucht-warm.
So erreichte ich in der Mitte des Nachmittags schließlich Chevaglia und war einigermaßen ratlos. Wo war das
Ostello und wie bekam ich am Sonntag den Schlüssel? Später auf der
Wanderung gab ich einfach die Adresse in Google Maps ein und ließ mich
mittels Smartphone hinführen. Aber diese kleinen Tricks hatte ich zu
diesem Zeitpunkt noch nicht drauf.
So saß ich also vor der Kirche und vertraute darauf, dass sich schon
irgendeine Lösung auftun würde. Da flanierte eine elegante
Italienerin mit
einem gebrechlichen älteren Herren am Arm an mir vorbei. Ich sprach sie
an und dies führte zu erstaunlichen Ereignissen. Zunächst
ergoss sich
ein Schwall Italienisch über mich, begleitet von reichlichem aber
ebenfalls äußerst elegantem Gestikulieren. Ich schaute wohl reichlich dappert aus dem Anzug,
denn sie sah mich nach einer Weile mit schiefgelegtem Kopf fragend
an.
Da kam ein Auto
mit zwei Frauen vorbei und hielt an. Offenbar eine Bekannte mit ihrer
Tochter. Mit Stakkato-Italienisch wurde das
Problem beratschlagt. Die Tochter sprach Englisch und übersetzte hin
und her. Schließlich verfrachtete Mama die
Tochter auf die Rückbank und mich kurzerhand ins Auto. So ging es quer durch die Stadt zum
städtischen Altenheim. Dort sorgte Mama resolut dafür, dass ich
Schlüssel und Stempel für den Credenziale bekam.
Dann ging es wieder
durch die Stadt zum Ostello. Die Tochter hielt mich auf dem Laufenden
und ich ließ alles dankbar ergeben geschehen. Schließlich standen wir
vor dem Ostello. Diese Art großartiger Hilfsbereitschaft erlebte ich
noch einige Male und im Laufe der Zeit vertraute ich auch immer darauf,
dass irgendwie alles, so wie in diesem Fall, gut wurde und so war es dann
auch immer. Eigenartig ...
Als ich gerade ausstieg hörte ich hinter mir ein empörtes: "Sooooo geht das aber nicht!"
Ich fasste es nicht. Da kamen Marijke und Geri. Große
Wiedersehensfreude und sie sparten sich die Suche nach dem Schlüssel.
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Am Morgen regnete es heftig, als ich in Iverea aufbrach. Aber es war warm und daher nicht ganz so unangenehm.
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Ich
spannte also meinen schönen leichten Regenschirm der Firma Göbel auf
und ging langsam aus der Stadt heraus. Noch ein Blick auf den Ivrea
Canoa Club und schon bald befand ich mich wieder auf dem Land.
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Die
Kanal begleitet meinen Weg über Kilometer. Er floss mit reichlicher
Geschwindigkeit dem Po entgegen. Der Weg war sogar mit einem weißen
Pilger markiert.
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Sunday in the City. Einer der Orte, die ich passierte in sonntäglicher Ruhe.
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Irgendwann hatte der Regen aufgehört. Sie Sonne schien schon wieder heiß, als ich den Lago Viverone das erste mal sah.
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Der
Weg war als Via Francigena gekennzeichnet. Später erfuhr ich und
stellte es auch selbst mehrfach fest, dass es in manchen Gebieten mehrere
Varianten der Wegführung gab. Die "offizielle", weiß-rot
gekennzeichnete war nur eine davon - und auch nicht immer die beste, geeignetste, günstigste.
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Der Lago Viverone ist wirklich ein schönes Fleckchen Erde.
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Ein Großteil der Kiwis, die wir bei uns bekommen, dürften wohl aus Italien stammen. Man lernt doch immer wieder dazu.
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Das Ostello in Chevaglia. Wie so oft wies auch hier ein dicker, gelber Pilger den Weg.
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Edel, edel!
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Das
Schicksal hatte uns wieder zusammengeführt. Nachdem ich ihnen wohl
glaubhaft versichert hatte, dass ich nicht mit dem Auto angereist war,
bezogen wir unser Quartier. Es war nicht groß, aber mit allem Erforderlichen ausgestattet.
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Auch die beiden hatten einen langen, harten Tag hinter sich, und so machte sich Marijke erst einmal lang.
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Solche Riegelbolzen hatte ich bis dahin noch in keiner Tür gesehen. Offenbar schien Einbruchskriminalität ein Problem zu sein.
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Die Kasse des Vertrauens. Bei solchen Unterkünften ist eine Spende von 10 € absolut angemessen.
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Tag 14, 14.10.2015: Chevaglia - Vercelli
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Am
nächsten Tag hieß es wieder Abschied nehmen und dann trennten sich
unsere Wege. Ich sollte die beiden nur noch einmal kurz in Robbio
wiedersehen. Schade, aber so ist das beim Pilgern ...
Es ging es weiter auf dem langen, langen Weg nach Vercelli. Die aufkommende Hitze im flachen Land machte mir
gut zu schaffen und schließlich war ich froh, am Ziel zu sein. Vercelli
war eine quirlige Stadt mit sehr alten Wurzeln. Es war schon recht spät
und so schaute mir wenigstens den Dom mit dem schönen Kreuzgang an.
Dann mußte ich noch mit wunden Füssen
durch die ganze Stadt zum "Convento Marianisti" bei den Friedhöfen. Durch
das ständige Gehen in Schonhaltung schmerzten nun nicht nur die Wunden,
sondern die kompletten Füsse. Ich nannte das ganze später "meine ganz
persönliche Via Dolorosa", denn ich litt wirklich sehr.
Im Convento wurde ich von
Angela empfangen. Sie war etwas speziell und am Ende des
Aufnahmerituals rieb sie unmißverständlich Daumen und Finger zu sammen.
Pay Day! Zehn Euro für ein sauberes Einzelzimmer mit Waschbecken waren
aber absolut in Ordnung. Das Haus selbst wirkte eher wie eine herunter gekommene Rumpelhöhle. In
Geld schwamm das Convento sicherlich nicht. Das
angekündigte Abendessen gab es nicht und ich mußte etwas laufen, um in
der Gegend etwas zu bekommen. Aber ich schlief gut in diesen
ehrwürdigen Mauern.
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Abschied,
mal wieder. Marijke und Geri machten sich auf den Weg und ich brachte die
Schlüssel zurück. Später sah ich sie immer mal wieder weit vor mir
laufen.
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Es lief sich schön, trotz Teerstraße. Je weiter ich jedoch nach Vercelli kam, so flacher wurde das Land.
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In Santhia überraschten mich Marijke und Geri dann noch einmal beim Kartenstudium. Danach sah ich sie nicht mehr wieder.
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Ansichten einer italienischen Stadt und ...
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... des schönen Kreuzgangs beim Dom von Vercelli.
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Ich liebe Kreuzgänge. Leider war der im Convento Marianisti später recht herunter gekommen.
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Endlich, das Convento.
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Backsteine sind in der Poebene das Baumaterial schlechthin.
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Hier war ich wirklich richtig!
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Das
Bewirtschaftungskonzept schien mir allerdings eigenartig. Im Haus
stapelten sich überall auf den Gängen Kleidung (einer Sammlung?),
technisches Gerät, Fahradteile, Kartons usw. und auf dem Hof jede Menge
Sperrmüll.
Das Zimmer war jedoch prima, und darauf kam es mir an!
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Tag 15, 15.10.2015: Vercelli - Robbio
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Ab
Vercelli wollte ich nur in Pilgerunterkünften übernachten. Deshalb
hatte ich mir am Abend aus den reichlichen Kartonvorräten etwas
passendes heraus gesucht, Zelt, Kochutensilien und einiges Kleinzeugs
darin verpackt und wollte es nun zur Post bringen. Aber, wo fand diese?
Ich machte mich also auf den Weg in die Innenstadt und entschloss mich,
unterwegs jemanden zu fragen.
Bei einer Schule stand eine junge Frau im Adidas-Trainingsanzug und
telefonierte. Ich zögerte etwas, denn sie wirkte auf mich ein wenig wie
typische RTL II-Klientel daheim doch dann sprach ich sie wegen der Post an. Sie
deutete auf meinen Stadtplan und erklärte mir dann in bestem Deutsch
den Weg. Ich war schon etwas sprachlos. Dann bot sie mir an, mich
dorthin zu bringen - durch die halbe Stadt. Sie telefonierte kurz und
ein paar Minuten später stand wie hingezaubert ein Bekannter von ihr
mit seinem Wagen von uns. Wir düsten durch das Labyrinth der Altstadt
bis zum Hauptpostamt. Dort managte sie dann
alles mit einer ziemlich aufgeblasenen Postangestellten.
Bahnfahrkarten am
Automaten ziehen ist in Italien, wie in der Schweiz, super einfach. Ein
Paket ins Ausland zu verschicken ist ein langwieriger und komplizierter
Akt. Nachdem ich um 25 € und 2,5 Kilogramm erleichtert war machten wir
noch ein paar Fotos. Sie hieß Antonia, war eine richtig nette und mein
Dank kam von Herzen.
Dann ging es endgültig hinaus in die Reisfelder. Das Land war flach und immer
wieder, wie hingeworfen, tauchten Bauernhöfe am Weg auf. Bei
so einer Cascina unterhielt sich gerade ein Paar, Pilger wie es
schien, mit einer jungen Frau. Sie arbeitete im Garten. Wir wechselten ein paar Worte und dann ging ich weiter. So traf
ich auf Agathe und Laurent aus der Schweiz. Einige Zeit später
überholten sie mich wieder und als sie gerade Pause machten ging ich wieder
an ihnen vorbei. Dann verloren wir uns zunächst erst einmal wieder aus den
Augen.
In Robbio wollte ich im Oratorio der Parrocchia übernachten. Doch der Pfarrer sagte,
dass dies nicht möglich wäre und fuhr mich persönlich zum Municipio, in dem die
Stadt ein kommunales Ostello eingerichtet hatte. Und wer stand dort vor
mir? Agathe und Laurent! Abends gingen wir gemeinsam Essen und lernten
uns besser kennen.
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Antonia
hatte das Herz auf dem rechten Fleck und wieder schämte ich mich für
meine erste, oberflächliche Einschätzung. Zu den Dingen, die ich auf
meiner Pilgerwanderung lernte, gehört ganz sicher, Menschen nicht zu
schnell in eine Schublade einzuordnen.
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Noch ein Touri-Foto ...
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... und
ein Selfi. Menschen wie Antonia hatte ich schon kennen gelernt und
lernte ich noch weitere kennen. Sie haben mein Bild von den Italienern
ganz wesentlich geprägt. Ich mag sie einfach!
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Und dann ging es hinaus in die Reisfelder und diese Felder schienen meist unendlich.
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So, wie die einsamen Wege, die durch sie hindurch schnitten.
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Selbst als Laie konnte ich sehen, dass viele unterschiedliche Reissorten angebaut wurden.
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Die
Erntezeit stand bevor und hatte auf einzelnen Feldern schon begonnen.
Manchmal ging auch etwas daneben und landete auf dem Boden.
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Diese
Landschaft übte auf mich einen ganz eigenartigen Reiz aus. Die Hitze
hielt sich in Grenzen, Frösche und Mücken gabs nicht und so war es
sicherlich weit erträglicher als im Sommer. Diese Weite hatte etwas vollkommen Entspannendes.
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Agathe
und Laurent zogen vorbei. Ich hatte sie kurz zuvor getroffen und wir
würden uns noch einige Male treffen - nur wußten wir es noch nicht.
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Insgesamt fand ich den Weg durchaus nicht öde.
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Diese Stelle nahe Palestro findet man oft in anderen Berichten abgebildet.
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Von Laura lernte ich später, dass die gelben Markierungen Alternativen zum offiziellen Weg kennzeichnen.
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Pilgers Vesper!
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Robbio kam langsam in Sicht.
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Andere Pilger kamen hier auch schon vorbei.
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Robbio
ist eigentlich ein recht schöner Ort. Aber um in den schönen Teil zu
kommen muss man erst einmal durch den industriellen Speckgürtel - und
das dauert.
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Da die
Parrocchia keine Übernachtung (mehr) anbot, brachte mich der Pfarrer
kurzerhand mit seinem Wagen zum Municipio, dem Rathaus. Hier gab es ein kleines
kommunales Ostello.
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Im
Municipio war nicht nur zumindest ein Teil der Verwaltung
untergebracht, sondern auch die "Policia Communale". Neben den
Carabinieri, die sich als Edelpolizei verstehen, gibt es in Italien kommunale,
regionale, ein Finanzpolizei und andere Polizeiorganisationen. Ich habe
Italien nie als "Polizeistaat" empfunden, aber erstaunt hat mich das
schon. In einer Stadt lief ich an einer wirklich großen Kaserne der
Finanzpolizei vorbei und die Polizisten liefen in Einsatzoliv und
bewaffnet herum.
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In der Unterkunft kühlte meine gequälten Füsse. Ein Genuss!
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Abends
lernten die Schweizer und ich uns beim Essen besser kennen. Es gab den Spezialburger des
Hauses, Salat mit Feta und Sardellen und ein großes Bier. Ich mochte
die beiden gleich. Agathe war ein quirrliges Energiebündel und bei
Laurent mochte ich besonders, dass er Gelatti einfach nicht - so, wie ich -
wiederstehen konnte.
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Tag 16, 16.10.2015: Robbio - Mortara
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Am nächsten Tag ging es dann wieder durch die Reisfelder. Der Weg war
unspektakulär und ich genoss dieses vollkommen problemlose Wandern. Es nieselt
zunächst ein wenig und mein Schirm leistete wieder gute Dienste.
Im ersten Ort trank ich in einer Bar eine Cola und als ich ging wünschte mir die Besitzerin "Buen Camino!"
An einer Stelle mitten in den Feldern musste ich doch mein GPS plus Locus-App zu Rate
ziehen. Und tatsächlich hätte ich mich fast verlaufen. Es gab keinerlei
Kennzeichnung und das war in Italien eher ungewöhnlich.
Ich kam schon früh in Mortara an, aß dort etwas und trödelte dann zur
"Abbazzia St. Albino", die auf der anderen Seite am Ortsrand lag. Kurz
bevor ich dort eintraf, erblickte ich in einem Garten das wohl
skurrilste, was ich auf der der ganzen Wanderung sah: Ein Flakgeschütz
im Garten eines ganz normalen Wohnhauses. Na ja, andere haben
Gartenzwerge ...
Bei der Abbazzia angekommen klingelte ich dann am Anbau neben der
Kirche. Die Tür ging auf, eine resolute Donna sah mich stirnrunzelnd an
und deutete auf das Schild neben der Tür: Einlass für Pilger ab 15.00
Uhr! Dann bat sie mich ebenso bestimmt herein.
Von ihrem kurzen Vortrag verstand ich wenig, als sie mir die
Räumlichkeiten zeigte. Abendessen? Si! Frühstück? Si! Und den Stempel
erhielte ich am Abend.
Dann ging sie hinaus und kam kurz darauf mit einer 1,5-Liter Flasche
kaltem Mineralwasser wieder, "Con gas", so, wie es doch alle Deutschen trinken.
Wiederum kurze Zeit später brachte sie mir einen großen Teller mit
Trauben und Pfirsichen. Ich konnte es kaum fassen.
Zum Abendessen gab es dann Pasta und dann ein leckeres Kartoffelgericht
mit kleinen Schnitzeln. Dazu Wein und ein neuer Obstteller.
Michel, ein knorriger Franzose, der nach mir angekommen war, und ich
zahlten jeder 20 € und Franca, so hieß unsere Wohltäterin, war sehr
zufrieden.
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Hinter Robbio wurde ich gleich wieder von den Reisfeldern verschluckt.
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Und es gab durchaus reizvolle Winkel.
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Na ja, kann man sich in den Garten stellen, muss man aber nicht.
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Hübsch sah sie aus, die Abbazzia St. Albino.
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Also,
wenn das keine Begrüßung war! Die halbe Flasche Wein stand auf der
Anrichte und ich dachte, er wäre zum Verzehr frei. Beim Abendessen
lachte Franca nur und stellte eine neue Flasche auf den Tisch. Es war
mir schon ein wenig peinlich.
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Der moderne, große Versammlungsraum passte wirklich wunderschön zur ...
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... gleich angrenzenden, alten Kirche.
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Riegel, Riegel, Riegel - und ich dachte, Kirchentüren stünden prinzipiell offen.
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Der neue Anbau von außen.
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Man erkennt das Alter der Kirche. Immer wieder wurde umgebaut und geflickt.
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Und natürlich musste auch ein Erinnerungsfoto mit Franca sein. Sie war eine meiner vielen guten Erfahrungen mit den Italienern.
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Tag 17, 17.10.2015: Mortara - Garlasco
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Nebel hatte sich wie Watte über das Land gelegt, als ich am
nächsten Morgen aufbrach. Nach ein paar Metern lösten sich die Konturen
auf, die gedämpften Geräusche und die wie in Flaschen eingesperrten
Lichtkegel der Autos schufen eine unwirkliche Atmosphäre. Ich hatte das Gefühl, im Raum zu schweben.
Wieder ging es hinein in die Reisfelder, hin und wieder durch große
Pappelanpflanzungen, um deren kahle Stämme Nebelfetzen webten, vorbei
an einsamen Gehöften und durch verlassen wirkende Dörfer. Eine
eigenartige Stimmung, die ich mochte.
Der Weg war überhaupt nicht langweilig, sondern recht
abwechselungsreich. In Tromello grüßte ich einen älteren Herren in
Begleitung einer jungen Frau. Lina und Carlo begrüßten mich auf der Via
Francigena.
Weiter ging es nach Garlasco. Inzwischen hatte die Sonne Oberhand
gewonnen. Garlasco empfand ich als eine normale italienische Stadt der
Poebene, wohlgeordnet aber auch nicht sonderlich erwähnenswert. Ich
wollte etwas außerhalb in der "Casa Toledina" übernachten. In St. Albino
hatte ich einen vielversprechenden Flyer vom "Exodus Project" gefunden,
das dort Unterkünfte anbot. Auf dem Weg dorthin traf ich auf Mirco, der
dort wohnte, und wir gingen gemeinsam hin. Der Empfang war herzlich,
die Unterkunft sehr gut und auch das Essen ganz prima (und das kochten
die Jungs dort selber!).
In der Casa Toledina lernte ich dann Laura kennen und diese
Bekanntschaft wurde recht prägend für den weiteren Verlauf meiner
Pilgerwanderung. Von Laura lernte ich viel über Land und Leute, erhielt
etwas Sprachuntericht und verbrachte eine gute Zeit mit ihr. Ich mochte sie sehr.
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Am nächsten Morgen waberte fetter Nebel über dem tiefen Land.
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Stellenweise war die Sicht noch deutlich schlechter als hier zu sehen.
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Aber
mich störte das nicht, ich mochte sogar diese eigenartige Stimmung über
den Feldern und diese wattegedämpften Geräusche.
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Alles hatte irgendwie etwas ...
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... geheimnisvolles, verzaubertes.
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Die Luft war gesättigt mit Feuchtigkeit.
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Sie freuten sich sicher nicht auf St. Martin. Aber sie machten ein Höllenspektakel, als ich vorbeiging.
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Alle
Flüsse streben hier zum Po. Was mich immer wieder erstaunte war, mit welcher
Geschwindigkeit sie dies taten. Gefälle gabs in der Ebene schließlich nur wenig.
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Katze beäugte mich misstrauisch. Wie war sie nur auf diesen fast vier Meter hohen Pfahl gekommen?
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Langsam lichtete sich der Nebel ...
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... und als ich in Tromello ankam, war er fast fort.
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In
Tromello traf ich auf Lina und Carlo (man beachte sein Trikolore-Rad) und wir kamen ins Gespräch. Lina war sehr interessiert an
Deutschland, ihre Schwester lebte in Düsseldorf. Irgendwann düste Carlo
mit seinem Rad fort. Er käme gleich zurück und ich möge doch warten.
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Als
er zurück kam, überreichte er mir diesen Spezial-Credenziale seiner Gemeinde nebst Sticker. Ich
hab mich richtig gefreut und die beiden wünschten mir "Buon Camino".
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Irgendwann tauchte dann langsam die Silhouette von Garlasco über den Feldern auf.
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Garlasco
fand ich nicht so sonderlich interessant und so machte ich mich bald auf den
Weg zur "Casa Toledina", die ein Teil des Exodus-Projektes sein sollte.
In der Abbazzia St. Albino hatte ich einen vielversprechenden Prospekt
von denen gefunden und beschlossen, dort zu übernachten. Die Via
Francigena führte zwar direkt durch das Grundstück der Casa Toledina,
aber als Pilgerunterkunft war sie nirgends verzeichnet.
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Auf
dem Weg dorthin sprach mich dieser junge Mann an, ob ich Hunger hätte.
Ich war etwas verwundert, und antwortete ihm, dass ich zur Casa
Toledina wolle. Dort wollte er auch hin und so begleitete er mich. Ich
fragte ihn, was denn das Exodus-Projekt sei. Etwas verhalten antwortete
er, dass es ein internationales Projekt sei und um Jugendliche mit
Problemen ginge. Er hieß Mirco und machte einen sympathischen Eindruck.
Später erfuhr ich, das es um Drogen und die damit zusammenhängende
Beschaffungskriminalität ging.
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So
kamen wir bei der Casa an und ich wurde total nett empfangen. Mein
Schlafraum war ein Vierbettzimmer mit großem Bad. Als sie mich fragten,
ob ich später mit ihnen essen wolle und ich bejahte, strahlten sie
förmlich auf.
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Vom Fenster konnte ich die Via Francigena sehen.
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Und
am Nachmittag kam dann sie, Laura! Laura wurde zu einer der wundervollsten
Begegnungen meiner Wanderung. Beim Abendessen sagte ein paar der Jungs zu
mir beinahe etwas ehrfürchtig, sie wäre etwas ganz besonderes, sei "una donna!"
Das war sie wirklich und zugleich eine der modernen italienischen
Frauen, abseits jeglichen Mama-Klischees. Sie war kompetent, clever, sehr
nett und sah zudem noch verdammt gut aus. Das ich eine Weile mit ihr zusammen
wandern würde, ahnte ich nicht.
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Die
Idee, Pilgerunterkünfte anzubieten entstand im Rahmen des Projektes.
Das wuppten die Mädels und Jungs ganz allein, und machten es nicht
schlecht. Sie kochten auch für sich selbst und ihre Gäste.
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Abendessen in lauer Spätsommernacht. Wunderbar!
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Tag 18, 18.10.2015: Garlasco - Pavia
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Mit Laura kam irgendwie ein neuer Drive in mein Unternehmen. Ohne dass
wir ein Wort darüber verloren hatten, zogen wir gemeinsam weiter und
letztlich trennten sich unsere Wege erst wieder weit hinter Piacenza.
Aber erst einmal gingen wir gemeinsam bis Pavia und ich genoss ihre
Gesellschaft, der ersten seit langem. Sie erzählte mir, dass
sie sich Tags zuvor in den Reisfeldern heftig verlaufen hatte und mehr als
zwei Stunden brauchte, um wieder heraus zu finden. "Lost in the
ricefields" meinte ich scherzhaft. Dabei war sie auch auf meine Spuren
gestoßen und hatte sich daran orientiert. Ich lernte von ihr, wie man
italiensche Wörter korrekt ausspricht, wie Italiener Pizza
essen und viele andere, hilfreiche kleine Dinge. Sie war eine gute
Kameradin. Na ja, und nett anzuschauen war sie
halt auch. ;-) Unser Weg nach Pavia führte zunächst durch die Felder, dann über kaum
befahrene Straßen und schließlich am Ticino entlang. Schön war, dass
wir quasi von einem Moment zum anderen in Pavia waren ohne uns durch
öde Vorstädte oder Gewerbegebiete quälen zu müssen. In Pavia trennten
sich kurzfristig unsere Wege, da wir unterschiedliche Unterkünfte hatten.
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Abschied von der Casa Toledina und ihren Bewohnern. Als Pilgerunterkunft durchaus zu empfehlen.
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Und
dann hatten uns die Reisfelder mit ihren Be- und Entwässerungsanlagen
wieder. Am frühen Morgen konnte man die Hitze des Tages schon ahnen
aber noch war es angenehm kühl und herrlich zu wandern.
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Eine der typischen Backsteinkirchen der Poebene.
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Laura war selbst früh morgens schon gut drauf.
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Und immer wieder Kanäle.
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Rast in Gropello Cairoli. Mein Deo hat vollkommen versagt.
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Irgendwann ist immer ein Selfie fällig.
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Immer noch Reis und ...
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... immer noch endlose Asphaltstraßen in brütender Hitze. Nein, im Sommer würde ich hier keinesfalls durchlaufen!
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Und nach all den Hitzekilometern dann endlich, der erste Blick auf den Ticino.
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Ein beachtlicher Fluss mit guter Strömung.
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Es
war heiß, sehr heiß. Von der Straße auf dem Damm sahen wir irgendwo
hinter der Cascina Cantarana unten am Flussufer eine Bar. Die Dauer des
Entscheidungsprozesses lag im Millisekundenbereich und dann waren wir
schon unten. Laura hatte eine absolut sportliche Figur. So überraschte es mich
schon, als sie mir gestand, dass sie leidenschaftlich gern Bier trinke.
Ich hätte es nicht geglaubt.
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Aber
so vernichteten wir in der Hitze des Tages zwei große Bier. Da ich bei
körperlicher Anstrengung normalerweise nicht so gut auf Alkohol
reagiere - siehe Montjovet - hatte ich erst gezögert und es Laura
erklärt, aber dann siegte der Durst.
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Kleine Hunde wollten entweder meine würzigen Füsse ablecken oder den Rucksack auffressen.
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Laura
hatte neben ihrem Bierdurst auch einen ausgeprägten Appetit. Wie machte
die Frau das nur? Ich brauche so etwas nur anzusehen und nehme schon zu.
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Der Weg am Ufer des Ticino war dann wieder recht interessant.
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Zu
meinem eigenen Erstaunen legte ich nach den zwei Halben einen
höllischen Schritt vor. Von hinten tönte es entrüstet: "You are a liar!"
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Ein
freundlicher Spaziergänger machte noch ein Foto von "Rocket Girl" und
"Ruckmacher". Die Nicknames waren Lauras Idee. Sie taufte mich so, weil
sie es nicht fassen konnte, dass ich mir meinen Rucksack selbst genäht
hatte und weil sie natürlich als Italienerin und Ferrarista (ihr
zweiter Nickname war wegen ihres Marschtempos "Ferrari" und der dritte
wegen ihres Tempos im Gebirge "Laura Croft") absoluter Fan von
Michael Schumacher war.
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Und noch ein letztes und ...
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... dann waren wir da.
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Nur über diese Brücke gehen und man ist direkt in Pavia.
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Auf
dieser Seite ist nur ein Vorstadt. Ein paar hundert Meter von der
Brücke lag das "Ostello Santa Maria in Betlem". Alles war nagelneu und
die 20 € für die Übernachtung mit Bettwäsche wert. Auch eine Küche,
Fernsehen, und PC mit Internet gab es.
Eine vorherige Anmeldung wäre klug, denn das Ostello ist nicht nur für
Pilger gedacht und Pavia eine vielbesuchte Stadt. Ich hatte Glück und bekam ein
Bett.
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