Inhalt
Gendern ist nicht so mein Ding. Ich wurde ohne Sprachbehinderung geboren. Warum sollte ich sie also künstlich herbei führen? Aber das Sternchen lenkt so schön die Aufmerksamkeit auf ein Thema, das wohl für viele keinen wirklichen Bezug zu Menschen meines Alters (immerhin satte 73) hat. Ich meine den Erhalt oder sogar die Erweiterung von Mobilität mittels E-Scootern. Dieses mal ein Post so ganz ohne Fotos, mehr zum drüber Nachdenken geschrieben.
Ich wohne in Lübeck nahe der Uniklinik und bin dort regelmäßig ehrenamtlich in der Uni-Klinik tätig. Eine zeitweise Einschränkung beim Gehen zwang mich daüber nachzudenken, wie ich trotzdem meine Tätigkeit weiter ausüben konnte. In Lübeck sind mehrere Anbieter für E-Scooter aktiv und ich entschloss mich, so etwas mal zu probieren. Inzwischen bin ich wohl eineinhalb Jahre mit den Dingern unterwegs und kann sagen, dass ich nicht mehr auf diese Alternative verzichten möchte.
Dabei habe ich einige Erfahrungen gesammelt, die ich hier teilen möchte. Dieser Post soll jedoch nur helfen, sich auf der Basis meiner ganz persönlichen Erfahrungen vielleicht ein besseres Bild zu machen. Ausdrücklich möchte ich weder missionarisch die Nutzung von E-Scootern propagieren, noch moralinsauer verdammen!
Grundsatz:
Wer schon eine deutlichere Beschränkung seiner Beweglichkeit verspürt, Wahrnehmungs-, Gleichgewichts- und Reaktionsproblemeprobleme hat, der sollte unbedingt die Finger von E-Scootern lassen! Mit zunehmendem Alter oder durch Krankheit lässt manches nach und mit dem möglichst verletzungsfreien Fallen funktioniert es auch nicht mehr so gut. Sich selbst und andere leichtfertig zu gefährden ist dann keine gute Idee.
Wie mit E-Scooting einsteigen?
Langsam, peut á peut! Auf alle Fälle vor einem Kauf möglichst erst einmal ausgiebig mit Miet-Scootern (möglichst verschiedene Anbieter mit verschiedenen Modellen) testen, ob man denn überhaupt mit so etwas klar kommt, vielleicht sogar Angst bei der Benutzung hat. Am besten also Sonntags auf einem Supermarktparkplatz zunächst sehr vorsichtig einige Runden mit etlichen Kurven drehen. Für den Notfall immer in Begleitung!
Was braucht man?
Wenn niemanden in seinem Umfeld mit einem E-Scooter hat braucht es einen Vermieter (neudeutsch: Provider). Bei Mietscootern gibts da von Top bis Flop. In Lübeck bevorzuge ich Scooter von „dott (ehemals Tier)“ (Hersteller Segway) oder „Voi“. Warum? Gutes Fahrverhalten, 10″ Räder und ordentliche Wartung. Unter gutem Fahrverhalten verstehe ich auch ein ausgewogenes Ansprechen auf den „Gashebel“. Manche Scooter rucken da ziemlich übel und/oder beschleunigen sehr heftig. In meinen Augen ein Sicherheitsmanko!
Selbstverständlich trägt man auch zum Testen einen Fahrradhelm! Wäre doch peinlich, sollten erst die Enkelkinder Oma oder Opa darauf aufmerksam machen.
Ohne Smartphone geht übrigens gar nichts! Schon vor dem Testen die App des jeweiligen Providers herunter laden, sich damit vertraut machen und die Bezahloption (meist PayPal) festlegen.
Auf der App sieht man die Standorte von Scootern im Umfeld und meist deren Ladezustand. Letzteren immer! checken, damit man nicht auf halber Strecke liegen bleibt.
Am Scooter selbst immer! zunächst kurze Sichtkontrolle machen (z.B. hakeliger Gashebel, ziehen die Bremsen oder verbogener Ständer).
Dann zum Aktivieren QR-Code einscannen, ggf. weiteren Anweisungen der App folgen und nach Freigabe wie beim Tretroller mit ein paar Kicks losfahren und dabei sanft Gas geben. Bei manchen Providern kann alternativ auch über die App aktiviert werden.
Am Zielort über die App Fahrt beenden, sicher und störungsfrei abgestellten Scooter mit App fotografieren und fertig!
Wichtig: Scooter nicht in von der App angezeigten Verbotszonen abstellen. Das kann richtig teuer werden! Meist lassen sie sich dann auch nicht deaktivieren.
Auf keinen Fall einen aktivierten Scooter unbeaufsichtigt abstellen! Das könnte sogar sehr teuer werden.
Aus meiner Praxis
Ich habe schon viele Fahrten mit den Dingern gemacht und bin sehr zufrieden! Aber …
- Zweimal hatte ich Pech, ähem, ehrlicherweise war es eher eigene Blödheit. Zunächst meinte ich zum Abstützen den Standfuss bei noch rollendem Scooter unbedingt schon auf den Boden stellen zu müssen. Dynamische 125 Kilogramm überdehnten die Achillessehne geringfügig und produzierten einen sehr schmerzhaften und langwierig heilenden Achillessehnenanriss. Weil’s mir so peinlich war schwindelte ich was von „auf Treppenstufe abgerutscht“. Schäm … Merke: Standfuss immer erst auf den Boden wenn der Scooter steht und beim Anhalten Finger weg vom Gashebel!
- Dann meinte ich auf freiem asphaltierten Radweg bei 20 km/h unbedingt den Blick etwas schweifen lassen zu müssen. Auf einmal war ich auf der weichen Bankette und stieg in perfekter Flugrolle über die Lenkstange in die zum Glück weiche Bankette ab. Es gab nur kleinere Blessuren. Merke: E-Scooter verlangen volle Aufmerksamkeit denn die Teile sind sehr direkt im Lenkverhalten und verzeihen keine Nachlässigkeiten! Wie beim Wandern im Gebirge gilt: Zum Schauen immer stehen bleiben!
- Beide Hände sollten immer am Lenker sein! Sobald man einhändig fährt fühlt sich der Scooter zumindest für mich sofort sehr wackelig und instabil an. Ich werde schnell sehr unsicher. Sturzgefahr! Also, rechte Hand am Gashebel, linke immer am Bremshebel!
- Aufgrund ihrer Wendigkeit verleiten Scooter zu schnellen, für andere zuweilen unvorhersehbaren Fahrmanövern. Zudem rauscht der Fahrtwind in den Ohren (insbesondere wenn man auch noch Hörgeräte trägt). Die Gefahr kommt dann unbemerkt von hinten und gleichzeitig ist man selbst auch eine Gefahr für von hinten kommende Rad-, Pedelec- oder Scooterfahrer.
Vor Fahrtrichtungs- oder Spurwechsel langsamer werden und und wie beim Auto fahren unbedingt immer ein ganz kurzer Blick über die Schulter! Die anderen werden es uns danken.
Das Problem ist jedoch die Anzeige dieses Manövers. Inzwischen verfügen etliche Leihscooter, aber eben nicht alle, über Fahrtrichtungsanzeiger, sprich Blinkanlagen. Eine Hand zur Anzeige vom Lenker nehmen führt jedoch zu der oben angesprochenen, potentiell instabilen und gefährlichen Fahrsituation. Was also tun? Ein Dilemma!
Da muss jeder für sich selbst einen Weg finden. Für mich habe ich das wie folgt gelöst. Ich lasse auf jeden Fall beide Hände am Lenker, verlangsame aber deutlich meine Fahrt und schaue dabei mehrfach über die Schulter. Im Zweifel halte ich beim Abbiegen auch an. Sicherheit für mich und andere geht immer vor! - Gerade zu Beginn verhalten fahren! Wie gesagt, die Reaktionsfähigkeit lässt mit dem Alter nach und 20 km/h sind auf einem E-Scooter schon ziemlich flott.
- Kurven fahren üben! Am besten auf einem ungestörtem Platz. Enge, weite und die „8“. Wenn ich eine Kurve fahren will nehme ich vorher Gas raus. Nicht bremsen!
- Bremsen üben! Unbedingt nur bei geradeaus Fahrt bremsen! Sonst Sturzgefahr! Mit geringer Fahrt und sanft abbremsen bis zur Vollbremsung aus voller Fahrt (Gashebel loslassen!).
- Zum Abfedern von Stößen stehe ich immer leicht in den Knien gebeugt auf dem Trittbrett. Kniegelenke und Wirbelsäule danken es.
Was kaufen, worauf dann achten?
Nicht überall gibt es Scooter zum mieten und dann heißt es kaufen. Doch welchen? Hier kann und möchte ich nur sehr allgemeine Empfehlungen geben.
- Ausschließlich ein Modell kaufen, das für Deutschland eine Zulassung des Kraftfahrt Bundesamtes (KBA) besitzt! Alles andere ist absolutes „no go“!
In Deutschland herrscht Versicherungspflicht für E-Scooter. Und versichert werden können nur Modelle mit KBA-Zulassung. Niemals ohne Versicherung fahren, denn ein Unfall mit schwereren Folgen könnte ruinös sein. Mietscooter sind übrigens immer versichert.
- Auf die Zuladung achten. Grundsätzlich gilt, je leichter Nutzer oder Nutzerin je größer die Auswahl bei zudem geringeren Anschaffungskosten.
Zuladung meint was der Scooter ohne Berücksichtigung des Eigengewichts tragen kann. Beispiel: Fahrer 125 kg + 5 kg Kleidung + 5 kg Rucksack = 135 kg. Der Scooter sollte 150 kg Zuladung ermöglichen. Ist nur die Belastbarkeit angegeben erhält man die Zuladung indem man das Eigengewicht des Scooters abzieht.
Gerade für schwerere Fahrer wäre ein E-Scooter eine echte Erleichterung. Doch Scooter bis 150 kg sind selten und sind zuweilen recht fragwürdige Konstruktionen mit Sitz. Bei SoFlow gibt es z.B. einige passable Modelle. - Und wenn die Enkel noch so sehr quengeln: Oma oder Opa fahren immer allein auf dem E-Scooter! Zu zweit ist gefährlich und kann auch ein saftiges Bußgeld kosten. Bei einem Unfall könnten sich zudem Versicherungen sperren zu zahlen.
- 10″ Räder mit Luftbereifung sollten es schon sein. Da Stoßdämpfend sind sie komfortabler, rollen besser und bieten die beste Traktion.
- 2 solide Bremsen sind ein Muss! Manche Hersteller bieten Modelle mit einer mechanischen und einer elektronischen Bremse (über den Motor) an.
- Möglichst gefederte Gabel. Ein bischen hilft es. Es gibt Bauarten mit Federung in den Gabelarmen oder im Lenkerschaft.
- Wer im 3. Stock ohne Fahrstuhl wohnt und den Akku nur in der Wohnung laden kann, der sollte auf einen abschließbaren Wechselakku achten. Der Scooter kann zur Not, so vorhanden, im Auto „geparkt“ werden. Mir sind derzeit (2024) vor allem zwei Hersteller derartiger Scooter bekannt. Dieser (max. 150 kg!)und dieser (max. 120 kg). Ansonsten ist das Angebot überschaubar. Erstaunlich, denn fast jeder Mietscooter ist sinnvollerweise mit Wechselakku ausgestattet.
- Auf das Gewicht des Scooters schauen. So bei 20 kg sollte etwa die Grenze sein. Sonst ist nichts mehr mit Mitführen in Bussen und Bahnen (nicht immer erlaubt!). Die Zeit des Bäume ausreißens und Kühe umschubsens ist für die meisten von uns vorbei!
Für Ältere, die physisch und mental fit genug für die Nutzung so eines Teils sind kann ein E-Scooter eine echte Bereicherung des Alltags und der Lebensqualität sein. Wenn man es richtig und vor allem nicht zu ehrgeizig angeht. Man muss nicht mit den Enkelkindern um die Wette fahren oder stets mit 20 km/h durch die Landschaft brettern. Wir alten Knacker*innen sind doch in der glücklichen Lage, wirklich niemandem mehr etwas beweisen zu müssen!
Aber so ein Scooter ist eben auch nicht ohne. Man sollte sich immer bewusst sein, dass das Gefährdungspotential für Ü70er schon höher ist als für Ü30er. Bei verantwortungsvollem Gebrauch können aber gerade auch Ältere, in ihrer fußläufigen Reichweite schon etwas Eingeschränkten von diesen Teilen sehr profitieren. Auch wenn man mit Camper oder Mini-Camper unterwegs ist sind sie die ideale Ergänzung. Ich möchte sie jedenfalls nicht mehr missen.
E- Scooter sind gerade für ältere Menschen nicht gefahrlos. Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass ich niemanden zur Nutzung animieren will, sondern nur die Möglichkeiten dieser Geräte für Ältere darstelle. Wer sich zur Nutzung entschließt tut dies in jeder Hinsicht auf eigene Gefahr! Ich hafte für keinerlei eventuell daraus entstehende oder entstandene Schäden!