E-Scooter für alte Knacker*innen!?

Gendern ist nicht so mein Ding. Ich wurde ohne Sprachbehinderung geboren. Warum sollte ich sie also künstlich herbei führen? Aber das Sternchen lenkt so schön die Aufmerksamkeit auf ein Thema, das wohl für viele keinen wirklichen Bezug zu Menschen meines Alters (satt Ü70) hat. Ich meine den Erhalt oder sogar die Erweiterung von Mobilität mittels E-Scootern. Dieses mal ein Post so ganz ohne Fotos, mehr zum Nachdenken.

Ich wohne in Lübeck nahe der Uniklinik und bin dort regelmäßig ehrenamtlich tätig. Eine zeitweise Einschränkung beim Gehen zwang mich daüber nachzudenken, wie ich trotzdem meine Tätigkeit weiter ausüben konnte. In Lübeck sind mehrere Anbieter für E-Scooter aktiv und ich entschloss mich, so etwas mal zu probieren. Inzwischen bin ich wohl eineinhalb Jahre mit den Dingern unterwegs und kann sagen, dass ich nicht mehr auf diese Alternative verzichten möchte.
Dabei habe ich einige Erfahrungen gesammelt, die ich hier teilen möchte. Dieser Post soll jedoch nur helfen, sich auf der Basis meiner ganz persönlichen Erfahrungen vielleicht ein besseres Bild zu machen. Ausdrücklich möchte ich weder missionarisch die Nutzung von E-Scootern propagieren, noch moralinsauer verdammen!

Grundsatz:
Wer schon eine deutlichere Beschränkung seiner Beweglichkeit verspürt, Wahrnehmungs-, Gleichgewichts- und Reaktionsproblemeprobleme hat, der sollte die Finger von E-Scootern lassen! Mit zunehmendem Alter oder durch Krankheit lässt manches nach und mit dem möglichst verletzungsfreien Fallen funktioniert es auch nicht mehr so gut. Sich selbst und andere leichtfertig zu gefährden ist dann keine gute Idee.

Wie mit E-Scooting einsteigen?
Peut á peut! Auf alle Fälle vor einem Kauf möglichst erst einmal mit einem Miet-Scooter testen, ob man denn überhaupt mit so etwas klar kommt, vielleicht sogar Angst hat. Am besten also Sonntags auf einem Supermarktparkplatz zunächst sehr vorsichtig einige Runden mit etlichen Kurven drehen.

Was braucht man?
Wenn man keinen Freund mit einem E-Scooter hat braucht es einen Vermieter (neudeutsch: Provider). Bei den Mietscootern gibts von Top bis Flop. In Lübeck bevorzuge ich Scooter von „Tier“ (Hersteller Segway) oder „Voi“. Warum? Gutes Fahrverhalten, 10″ Räder und ordentliche Wartung. Unter gutem Fahrverhalten verstehe ich insbesondere ein ausgewogenes Ansprechen auf den „Gashebel“. Manche Scooter rucken da ziemlich übel und/oder beschleunigen sehr heftig. In meinen Augen ein Sicherheitsmanko!
Selbstverständlich trägt man auch zum Testen einen Fahrradhelm! Wäre doch peinlich, sollten erst die Enkelkinder Opa oder Oma darauf aufmerksam machen.
Ohne Smartphone geht übrigens gar nichts! Schon vor dem Testen App des Providers herunter laden, sich damit vertraut machen und die Bezahloption festlegen. Der Rest in simpel. Auf der App sieht man die Standorte von Scootern im Umfeld und meist deren Ladezustand. Am Scooter selbst zunächst kurze Sichtkontrolle (z.B. hakeliger Gashebel, ziehen die Bremsen oder verbogener Ständer). Dann QR-Code einscannen und nach Freigabe wie beim Tretroller mit ein paar Kicks losfahren. Am Zielort Fahrt beenden, abgestellten Scooter fotografieren und fertig!
Wichtig: Scooter nicht in von der App angezeigten Verbotszonen abstellen. Das wird teuer!

Aus meiner Praxis
Ich habe schon etliche Fahrten mit den Dingern gemacht und bin sehr zufrieden! Aber …

  • Zweimal hatte ich Pech, ähem, ehrlicherweise war es eher eigene Blödheit. Zunächst meinte ich zum Abstützen den Standfuss bei noch rollendem Scooter unbedingt schon auf den Boden stellen zu müssen. Dynamische 125 Kilogramm überdehnten die Achillessehne geringfügig und produzierten einen sehr schmerzhaften und langwierig heilenden Achillessehnenanriss. Weil’s mir so peinlich war schwindelte ich was von „auf Treppenstufe abgerutscht“. Schäm … Merke: Fuss immer erst auf den Boden wenn der Scooter steht!
  • Dann meinte ich auf freiem asphaltierten Radweg bei 20 km/h unbedingt den Blick etwas schweifen lassen zu müssen. Auf einmal war ich auf der weichen Bankette und stieg in perfekter Flugrolle über die Lenkstange in die zum Glück weiche Bankette ab. Es gab nur kleinere Blessuren. Merke: E-Scooter verlangen volle Aufmerksamkeit denn die Teile sind sehr direkt im Fahrverhalten und verzeihen keine Nachlässigkeiten. Wie beim Wandern im Gebirge: Zum Schauen stehen bleiben!
  • Aufgrund ihrer Wendigkeit verleiten Scooter zu schnellen und für andere unvorhersehbaren Fahrmanövern. Zudem rauscht der Fahrtwind in den Ohren (insbesondere wenn man auch noch Hörgeräte trägt). Die Gefahr kommt dann unbemerkt von hinten und gleichzeitig ist man selbst auch eine Gefahr für von hinten kommende Rad-, Pedelec- oder Scooterfahrer. Vor Fahrtrichtungs- oder Spurwechsel langsamer werden und unbedingt immer ein kurzer Blick über die Schulter! Die anderen werden es uns danken.
  • Beide Hände sollte immer am Lenker sein. Sobald man einhändig fährt fühlt sich der Scooter sofort sehr wackelig an und man sich selbst sehr unsicher. Sturzgefahr! Also, eine Hand am Gashebel, eine immer am Bremshebel!
  • Gerade zu Beginn besser verhalten fahren. Wie gesagt, die Reaktionsfähigkeit lässt mit dem Alter nach und 20 km/h sind auf einem E-Scooter schon ziemlich flott.
  • Kurven fahren üben.
  • Zum Abfedern von Stößen immer leicht in den Knien gebeugt auf dem Trittbrett stehen. Diesmal danken es die Kniegelenke.

Was kaufen, worauf dann achten?
Nicht überall gibt es Scooter zum mieten und dann heißt es kaufen. Doch welchen? Hier kann und möchte ich nur sehr allgemeine Empfehlungen geben.

  • Ausschließlich ein Modell kaufen, das für Deutschland eine Zulassung des Kraftfahrt Bundesamtes (KBA) besitzt! Alles andere ist absolutes „no go“!
    In Deutschland herrscht Versicherungspflicht für E-Scooter. Und versichert werden können nur Modelle mit KBA-Zulassung. Niemals ohne Versicherung fahren, denn ein Unfall mit schwereren Folgen konnte ruinös sein. Mietscooter sind übrigens immer versichert.
  • Auf die Zuladung achten. Grundsätzlich gilt, je leichter Nutzer oder Nutzerin je größer die Auswahl bei zudem geringeren Anschaffungskosten.
    Zuladung meint was der Scooter ohne Berücksichtigung des Eigengewichts tragen kann. Beispiel: Fahrer 125 kg + 5 kg Kleidung + 5 kg Rucksack = 135 kg. Der Scooter sollte 150 kg Zuladung ermöglichen. Ist nur die Belastbarkeit angegeben erhält man die Zuladung indem man das Eigengewicht des Scooters abzieht.
    Gerade für schwerere Fahrer wäre ein E-Scooter eine echte Erleichterung. Doch Scooter bis 150 kg sind selten und oft recht fragwürdige Konstruktionen mit Sitz. Bei SoFlow gibt es z.B. einige passable Modelle.
  • 10″ Räder mit Luftbereifung. Komfortabler da Stoßdämpfend.
  • 2 solide Bremsen
  • Möglichst gefederte Gabel. Ein bischen hilft es.
  • Wer im 3. Stock ohne Fahrstuhl wohnt und den Akku nur in der Wohnung laden kann, der sollte auf einen entnehmbaren Akku achten. Der Scooter kann zur Not, so vorhanden, im Auto „geparkt“ werden. Mir sind derzeit vor allem zwei Hersteller derartiger Scooter bekannt. Dieser (max. 150 kg!)und dieser (max. 120 kg). Ansonsten ist das Angebot überschaubar. Erstaunlich, denn fast jeder Mietscooter ist sinnvollerweise mit Wechselakku ausgestattet.

Für Ältere, die physisch und mental fit genug für die Nutzung so eines Teils sind kann ein E-Scooter eine echte Bereicherung des Alltags und der Lebensqualität sein. Wenn man es richtig und vor allem nicht zu ehrgeizig angeht. Man muss nicht mit den Enkelkindern um die Wette fahren oder stets mit 20 km/h durch die Landschaft brettern. Wir alten Knacker sind doch in der glücklichen Lage, niemandem mehr etwas beweisen zu müssen!
Aber so ein Scooter ist eben auch nicht ohne. Man sollte sich immer bewusst sein, dass das Gefährdungspotential für Ü70er höher ist als für Ü30er. Bei verantwortungsvollem Gebrauch können aber gerade auch Ältere, in ihrer fußläufigen Reichweite schon etwas Eingeschränkten von diesen Teilen sehr profitieren. Auch wenn man mit Camper oder Mini-Camper unterwegs ist sind sie die ideale Ergänzung. Ich möchte sie jedenfalls nicht mehr missen.

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