2018 – La France à vélo – 2. von der Camargue zum Atlantik

Claudi und ich haben nun nach rund drei Wochen Fahrt im Mittelmeer gebadet. Davon handelt der erste Teil des Berichts “von Basel zur Camargue“. Nun gehts gen Westen zunächst an der Küste entlang. Wir folgen dann dem Canal du Midi und dem Canal de la Garonne und wechseln dann irgendwo bei Bordeaux nach Arcachon an den Atlantik.

Etliche Bilder sind übrigens von Claudia. Danke, dass ich sie hier zeigen darf!

Hier geht es zum dritten Teil des Berichts, die Atlantikküste hinauf und dann die Loire.

Samstag, 02. Juni – Valence – Arcachon, 45 km

Brücken nur für Radfahrer!

Wir sind am Atlantik! Die Überlegung war, ob wir noch zwei weitere Tage am Kanal entlang fahren wollten und dann noch zwei Tage durch die endlosen Pinienwälder der Landes oder es mal wieder per Zug versuchen wollten. Wir entschieden uns für den Zug.
Dieses mal nutzten wir die Frische des Morgens, rollten recht früh vom Platz und kamen noch vor Mittag in Agen an. Der

Erspielte so richtig gut im Bahnhof von Agen

Bahnhof dort ist recht chic modernisiert und durch die Räume schwebte Klaviermusik. Ein junger Mann saß am Instrument und improvisierte gekonnt. Klaviere hatten wir auch schon auf anderen größeren Bahnhöfen gesehen und fast immer saß jemand daran und spielte. Wir fanden das eine tolle Aktion der SNCF. Auf unseren Bahnhöfen mit der Klientel, die sich meist dort herum treibt, m.E. vollkommen undenkbar! Überhaupt

Unser Platz an der Düne von Pilat mit phantastische Sicht auf Meer und Düne

schien mir Frankreich im Vergleich zu Deutschland eine eher vandalismusfreie Zone zu sein, zumindest, soweit wir es bisher gesehen hatten. Liegt es daran, dass man derartiges nicht bereit ist einfach hinzunehmen – wie man es aus meiner Sicht bei uns macht – oder haben die jungen Menschen vielleicht während ihrer Erziehung ein anderes Sozialverständnis vermittelt bekommen?
Wir hatten mal wieder Glück. Erstens

Nette Leihgabe netter Nachbarn für einen kreuzlahmen alten Knacker

streikten die Bahner nicht, zweitens gabs eine günstige Bahnverbindung nach Arcachon, drittens war Umsteigen einfach, da es Rampen und Rolltreppen gab und viertens fuhren wir in modernen Niederflurwagen mit komfortablen Fahrradabteilen. So erreichten wir gegen 16.30 Uhr Arcachon und den lange ersehnten Atlantik.
Vom Bahnhof gings natürlich erst einmal schnurstracks an die nahe Promenade am Bassin d’Arcachon. Wow, da kam sofort richtiges Seebad-Feeling auf. Draußen, auf dem im irgendwie transparenten Sonnenlicht glitzernden Bassin flitzten eine Unmenge Boote hin und her, auf der Promenade bewegten sich lässig schlendernd die Massen der Promenierenden hin und her. Viele Fahnen bauschten sich müde in der sanften, salz- und tangwürzigen Seebrise. Wir waren endlich da und wir waren froh!

Ankunft an der Promenade von Arcachon

Unser weiterer Weg führte uns dann langsam nach Süden zur Düne von Pilat und unserem gleich südlich davon gelegenem Campingplatz. Und wieder hatten wir Glück, denn wir ergatterten nach einigem Suchen für unsere kleinen Zelte einen tollen Platz mit Blick aufs Meer und auf die Düne.
Doch mir reichte es. Der Tag war lang gewesen und das Stück um die Düne herum mit seinem Auf und Ab hatte irgendwie reichlich Körner gekostet – na ja, vielleicht hätte ich vorher auch nicht den mächtigen Burger essen sollen … Ich verschwand bald im Zelt und kurz darauf im Land merkwürdiger Träume.

Freitag, 01. Juni – Moissac – Valence, 26 km

Der Kanal wird über den Tarn geführt

Erwähnte ich schon, dass ich Platanen liebe? Es sind prachtvolle Bäume und unvergleichliche Schattenspender. Und den hatten wir bitter nötig, denn die Sonne brannte und biss. Zum Glück bot die heutige Strecke viele Kilometer Weges unter dem kühlen Schirm dieser mächtigen Bäume.
Wir hatten aber auch irgendwo selbst schuld, denn der Tag begann mit

Auf der Kanalbrücke
Der berühmte Kreuzgang

ausgedehntem morgendlichen Klönschnack mit den netten Schweizern, die mit ihrem supergepflegten Eriba Puck neben uns standen. Dann sahen wir uns noch den wunderschönen Kreuzgang der Abtei im Ort an und auf dem Rückweg versperrte uns eine furchtbar aufdringliche Pizzeria den Weg. So wurde

Lecker, aber nicht gut für die Kondition

es ein Uhr, als wir wir endlich mit prallen Bäuchen rollten – zur größten Mittagshitze! Sehr clever!
Die Folge war, dass in Valence Schluss war. Wir kauften noch im örtlichen Casino ein und schlichen dann zum Municipal. Von dem Dragoner von Platzchefin ergatterte ich einen schattigen Platz unter einer riesigen Pinie und dann saßen erst einmal da, futterten unsere wir-sind-platt-Melone, unfähig zu irgendwelchen weiteren

Weiter unter schattigen Bäumen
Schleuse mit typischem Schleusenwärterhäuschen

Aktionen.

Die Melonenschlachterin

Irgendwann rafften wir uns auf und bauten auf. Das wars dann aber auch. Wir suchten uns Plätzchen im Schatten und ich wachte tatsächlich erst gegen halb sieben auf. Der Rest war Routine und in der Nacht schlief ich tief und fest.

Donnerstag, 31. Mai – Toulouse – Moissac, 62 km

Gut zu fahrende 62 Kilometer, z.T. in schier endlosen Geraden entlang des Canal de la Garonne. Eigentlich gibt es nichts zu meckern, es war trocken, nicht zu heiß und auch der Weg war ok. Nun gut. Was mich allerdings beschäftigte war ein Traum von letzter Nacht. Er war sehr intensiv und als ich aufwachte konnte ich mich mich recht genau und ziemlich ratlos an die vielen Details erinnern. Irgendwie war ich aber auch bezaubert, denn Träume dieser Art sind für mich absolut untypisch. Es ging in dem Traum um

“Die Ente“

Er begann mit einem Mann, hager und groß gewachsen, den das Schicksal aus irgend einer Laune heraus alles hatte verlieren lassen. Er beschloss, nicht mehr nach Geld und Besitz zu streben und künftig nur von dem zu leben, was die Menschen ihm gaben. So zog er durch die Lande.
Eines Tages, er machte gerade eine Pause an einem Feldrand, kam eine Ente aus dem Feld herangewatschelt. Sie schaute ihn mit ihren dunklen Knopfaugen an und kam furchtlos bis auf wenige Schritte an ihn heran. Er schaute sie erstaunt an und forderte sie leise auf, näher zu kommen. Sie legte den Kopf etwas schräg, und dann, als ob sie ihn verstanden hätte, setzte sie sich wieder in Bewegung, hüpfte in seinen Schoß und machte es dort gemütlich. Schon lange hatte er nicht mehr soviel Vertrauen gespürt und er genoss dieses gute Gefühl, wie er schon lange nichts mehr genossen hatte. Die Ente hatte schon einige Zeit auf seinem Schoß gesessen und ihn dabei gemustert, als er sie sanft mit beiden Händen aufnahm und vor sein Gesicht hob. “Solange Du bei mir bist soll dir nichts geschehen. Ich werde immer alles versuchen, dich zu beschützen.“ Die Ente sah ihn wieder mit schräg gestelltem Kopf aus ihren unergründlichen Knopfaugen an und nickte mehrfach. Und wieder hatte er das Gefühl, als verstünde sie ihn.
So wurden sie Gefährten und zogen gemeinsam durchs Land. Hin und wieder flog sie fort, kam aber immer nach einigen Stunden oder Tagen zurück. Diese Zeiten waren schrecklich für den Mann.
Doch eines Tages bekam er nichts mehr von den Leuten, den Grund kannte er nicht, und er begann zu hungern. Er wurde immer hagerer bis er eines Tages vom Tod gezeichnet zusammenbrach. Leute, die auf dem Feld arbeiteten, liefen herbei und wollten helfen. Sie gaben ihm zu trinken und wollten die Ente töten, um aus ihr eine kräftigende Suppe kochen. Als der Mann dies hörte, verbot er es ihnen mit letzter Kraft, denn die Ente sei seine Gefährtin und Freundin. Kurz darauf starb er. Die Leute brachten ihn in ihr Dorf und begruben ihn auf dem Friedhof.
Als der letzte Mensch gegangen war kam die Ente herangewatschelt, erklomm etwas mühsam den Grabhügel und setzte sich mit einem traurigen “Quaaak“ obenauf, wie auf ein Nest. Dort blieb sie den Rest des Sommers und des Herbstes und ging nur fort, um im nahen Dorfteich zu schwimmen und zu fressen. Als der Winter kam, bauten ihr die Leute ein kleines Häuschen, stellten es ihr aufs Grab und gaben ihr zu fressen.
Der Frühling kam und mit ihm ein bunt schillernder Erpel, der eines Tages vor dem Häuschen auf dem Grab stand. Bald führten sie ihre Küken zum Teich und als diese größer wurden setzte sich jedes von ihnen auf eines der anderen Gräber. Die Leute vom Dorf waren zunächst sehr erstaunt, doch stellten sie dann auf jedes weitere Grab mit einer Ente darauf auch ein Häuschen. Nach einigen Jahren standen auf allen Gräbern Entenhäuschen und die Leute, freuten sich darüber …

Soweit zu meinem Traum. Was das alles bedeuten mag und ob es überhaupt eine Bedeutung hat, weiß ich auch nicht. Aber beschäftigt hat mich dieser Traum schon. Da er aber auch irgendwie zur Radtour gehört, habe ich ihn hier aufgeschrieben.

Mittwoch, 30. Mai – Carcassonne – Toulouse

Es gibt nichts sonderlich Aufregendes zu berichten. Wir fuhren mit der Bahn sogar komplett nach Toulouse, da wir sonst noch einmal hätten umsteigen müssen und das wollten wir mit den voll bepackten Rädern nun wirklich nicht haben.
Die Bahnfahrt war doch etwas abenteuerlich, denn in dem kleinen, alten Zug wollten erstaunlich viele Radfahrer, z.T. mit Gepäck, mitfahren. Es war eine ziemliche Würgerei unter kräftiger Mithilfe des Schaffners, aber alle kamen mit. Bei uns wären wohl etliche belämmert auf dem Bahnsteig stehen geblieben. In La France nicht!
In Carcassonne mussten wir die Treppen runter und rauftragen, in Toulouse nur noch runter, rauf gings per Rolltreppe. Der Canal du Midi liegt praktischerweise direkt vor dem Bahnhof Matabiau und so sparten wir uns längere Gurkerei durch die Stadt.
Der Weg am Kanal führte uns schnell zu dem Becken, in dem Canal du Midi und Canal de la Garonne recht unspektakulär zusammen treffen. Dort wurden wir Zeuge, wie ein entgegen kommender Radfahrer einem vor uns fahrenden Italiener seine hübsche Stadtfahne aus der hinteren Satteltasche klaute. Meine Sammlung italienischer Flüche und wüster Beschimpfungen in nun um einige Kapitel reicher.
Am Canal de la Garonne reihten sich zunächst am Ufer über ein bis zwei Kilometer im Uferbewuchs provisorische Hütten von Obdachlosen oder Migranten. Gespenstisch.
Auf Höhe des ersten Zeltplatzes am Stadtrand hatte sich der Himmel dann dunkel zugezogen und es grummelte bedenklich. Wir beschlossen einzukehren, wurden freundlich empfangen und bauten unsere Zelte auf einer schönen Zeltwiese mit Bänken, Tischen und bei Bedarf Schatten spendenden Bäumen auf. Eine gute Entscheidung!

Dienstag, 29. Mai – Carcassonne

Die Lage: Die Eisenbahner streikten. Wir wollten mit der Bahn weiter, bis die Wegvehältnisse für uns wieder sicher waren. Wir konnten also erst am Mittwoch weiter.
Wir blieben also noch einen Tag in Carcassone, warteten ein wenig die Räder und das Material, kauften ein und lauschten lange Zeit dem Spiel eines alten spanischen Gitarristen. Es war ein entspannter, fauler Tag bei jetzt wieder besserem Wetter.‘

Montag, 28.Mai – Carcassonne

Wir sind auf dem Weg zur Cité. Der Himmel ist noch verhangen, die grafische Installation sieht eigenartig aus

Gibt es wirklich ernsthaft Leute, die an Carcassonne mit seiner Cité vorbei fahren? Wir hoffen doch nicht, denn sie würden wirklich etwas versäumen!

Wir machten uns erst gegen Mittag auf den Weg, als der morgendliche Regen aufgehört hatte. Zu Fuß war der Weg vom Campingplatz aus kein Problem und nur das letzte Stück den Festungsberg hinauf bracht uns etwas ins Schnaufen. Dort konnten wir dann als erstes die

… und so sieht sie aus dem richtigen Winkel betrachtet aus!

augenblickliche grafische Installation bestaunen. Dann ging es hinein in die Festung und dort stießen wir sofort auf die ersten der unzähligen Läden mit wundervollem Kunsthandwerk und viel anderen schönen und leckeren Dingen. Claudi war begeistert und ich ahnte, dass dieser Nachmittag wieder ein teurer für sie werden würde. Doch noch hielten die Dämme und so bummelten wir langsam weiter durch Gässchen und kleinen Plätze

Der Rundgang startet

dieser Mini-Stadt in der Burg. Immer wieder wurde der Blick frei auf die mächtigen Befestigungsanlagen oder das Land unterhalb der Festung. Einfach grandios!

An der großen Kirche wurde gerade gearbeitet, wir besichtigten sie trotzdem und bewunderten die riesigen, bunten, wundervoll gearbeiteten Fenster und Rosetten. Zufällig hatten wir den richtigen Zeitpunkt gewählt, denn drei Männer stimmten unvermittelt einen ganz eigentümlichen Gesang an, der zart und doch stark durch das gesamte Kirchenschiff schwebte. Für einen kurzen Moment vergaßen wir die Welt um uns und lauschten ganz entrückt diesen Sphärenklängen, die nicht von dieser Welt zu sein schienen. Es erinnerte mich an den Gesang von Nonnen im Hospiz auf dem Großen St. Bernhard, mit dem sie uns eines morgens weckten.

Irgendwann bekamen wir Hunger und entschieden uns für “Cassoulet“, einer regionalen Spezialität. Das ist ein Eintopf aus weißen Bohnen (die mag ich eigentlich nicht) mit einem Entenschenkel und einem ordentlichen Stück Wurst. Die Cassoulet wird immer wieder gebacken, angeblich sieben mal, und die sich jeweils bildende Kruste immer wieder in den Eintopf gerührt, was zu einem unvergleichlichen Geschmack führt. Wir habens richtig genossen und waren hinterher auch pappsatt. Absolut Empfehlenswert!

Der erste Einkauf war eine hübsch gearbeitete japanische Teeschüssel und da die den Versand in die Heimat unbeschadet überstehen sollte, wurde sie praktischerweise in zwei hübsch handgearbeiteten Strandtüchern eingewickelt. Ins Paket kamen auch noch die zwei Camargue-Messer, die bereits in

Cassoulet, man ahnt, dass es lecker ist und lange, lange sättigt

Aigues-Mortes erworben wurden und natürlich jede Menge Seifen, sozusagen zur Duftabrundung. Es war ein guter Tag.

Sonntag, 27. Mai – Capestang – Carcassonne, 62 km

Die z.T. unberechenbaren und zumindest für uns zuweilen gefährlichen Wegverhältnisse am Kanal und dass es am Kanal keinen für uns geeigneten

Der leuchtende Klatschmohn fasziniert mich immer wieder

Campingplatz gab, ließen uns zu einem drastischen Entschluss kommen: Wir wollten in einem Rutsch auf der Departementstraße nach Carcassonne radeln. So starteten wir nach einer unruhigen Nacht – im Ort dröhnte das Occitane-Festival bis morgens um vier – gegen 08.00 Uhr. Wir wollten die Morgenkühle noch mitnehmen und hofften auf dann noch ruhigen sonntäglichen Verkehr.

Über die Strecke gibts nicht viel zu berichten. Die Steigungen waren bis Trèbes moderat und dann wurde es noch einmal hart. Doch dafür wurden wir dann mit einem ersten Blick auf das irgendwie märchenhafte erscheinende Carcassonne belohnt.

Vor den Toren Carcassonnes

Der Platz war gut mit schattigen Stellplätzen, auch gutes Gratis-Internet gabs. Aber irgendwie war es kein guter Tag gewesen. Der ständige Autolärm, Abgase und einige sehr nah an uns vorbei rasende Fahrer – übrigens ausnahmslos Deutsche – machten die Kilometerfresserei nicht zum Zuckerschlecken. Eine junge Heilbronnerin, die die Route entgegen gesetzt fuhr, berichtete, dass die Wegverhältnisse erst ca. 40 Kilometer vor Toulouse wieder ordentlich wären. Schaun mer mal … Aber so einen Ritt machen wir nicht noch einmal. Und sowieso, morgen wollten wir uns erst einmal Carcassonne anschauen!

Samstag, 26. Mai – Farinette – Capestang, 41 km

Nun weiß der interessierte Leser, warum man nur die Enden der Baguettes essen sollte …

Der dämmerige Tag begann mit – Regen. Es pieselte leicht auf mein Zelt und ich flitzte so, wie mich der Herr schuf hinaus, um unsere trocknende Wäsche vor erneuter Benetzung zu retten. Der Regen wurde kräftiger und ich drehte mich noch einmal in meinen kuschelige Quilt und versank kurz darauf im Land der Träume. Es regnete noch eine Weile und wir warteten ab. Da packen wir ohne Not nicht ein. So rollten wir an diesem Tag erst gegen 10.30

Fröhlich und freudig beginnt der junge Tag

vom Platz.

Wir nahmen erst einmal eine Parallelroute zum Kanal, denn dieser sollte erst nach ca. 5 km einen guten Fahrweg haben. Und der war dann auch wirklich gut. Perfekter Asphalt, schattige Bäume und auf dem Wasser immer wieder Boote. Manche davon tolle Konstruktionen aus umgebauten Lastkähnen. Und der Wind trieb uns förmlich nach Béziers! Es war

Im Süden herrsct Wassermangel. Ein Plakat macht nachdenklich

eine wahre Lust dem Gaul die Sporen zu geben!

Kurz hinter Béziers erreichten wir “Les Neuf Ecluses“, eine beeindruckende Konstruktion von neun Schleusen hintereinander. Erstaunliche französische Wasserbaukunst, mal wieder. Und kurz hinter dem beeindruckenden Technikwunder wurde der Kanalweg wieder ekelig eng und wir wichen auf eine Nebenstrecke aus. Die stellte sich jedoch überraschend als recht schön heraus. In Colombier wurde dann kurz entschlossen in einem Restaurant direkt am Weg gegessen. Ich hatte die Plat du Jour, ein richtig leckeres Nudelgericht und Claudi einen Burger nach Art des Hauses mit

Der südlichste Punkt unserer Tour ist erreicht!

ordentlich Fritten.

Weiter gings und vor Poilhes dann derart hinauf, das ich schieben musste. Oben angekommen entschädigte ein weiter Blick ins Land. Unten konnte ich in der Ferne bereits die Häuser von Capestang sehen. Was folgte war eine Art Abfahrtsrausch. Ich rollte über einige Kilometer! meinem Tagesziel entgegen. Welch ein Luxus. Das hatte ich ja noch nie!

Bei den “Neuf Ecluses“

Erst an der Stadtgrenze begann ich wieder richtig zu treten.

Der Campingplatz ist ein überraschend schöner Municipal mit viel Rasen, Hecken, schattigen Bäumen und wieder mal einem sehr netten Menschen, bei dem wir eincheckten.

Der Kanal ist einfach sehr malerisch

Freitag, 25. Mai – Sandya les Tamaris – Farinette (Mas de la Plage), 51 km

An diesem Morgen zahlten wir den Preis für den ungewöhnlich langen Abend am Tag zuvor. Irgendwie kamen wir nicht in die Gänge. Gegen 10.00 Uhr rollten wir dann jedoch, nicht ohne zuvor von Heidi mit ein paar persönlichen Erinnerungsgeschenken versehen worden zu sein.
Der Weg nach Sète war weder aufregend noch besonders schön. Unser Problem war, dass der Eurovelo offenkundig einen neuen Verlauf hatte, wir aber noch die alten Tracks. Aber irgendwie wurschtelten wir uns dann durch die Stadt meiner Lieblings-Krimi-Barbie “Candice Renoir“. Es war gerade Markt. Ich kaufte Kirschen und ließ es mir im Schatten der mächtigen Platanen ein Weilchen gut gehen während Claudi durch den Fischereihafen düste. Ausgangs des Stadtkerns trafen wir uns und beschlossen, einen der Campingplätze hinter Agde anzufahren.

So kamen wir zu unseren ersten Kilometern am Canal du Midi. Und die waren nicht ohne, z.T. sehr schmal direkt am Kanal, mit gefährlichen Spurrillen im steinhart getrocknetem Schlamm vergangener Regentage. Man hatte im Zweifelsfall die Wahl in die Dornen oder in den Kanal (ohne Ausstiegsmöglichkeit!) zu kippen. Ich bin wirklich kein Schisser, aber einige Male schob ich mein Rad.
Claudia hatte inzwischen den Platz klar gemacht und sogar Tisch und Stühle vom sehr freundlichen und hilfsbereiten Personal erhalten. Der Platz ist wirklich ok mit tollem Waschhaus und sehr ruhig. Doch die angesammelte Müdigkeit forderte ihren Tribut. Gegen 20.00 Uhr krochen wir in die Zelte. End of transmission.

Donnerstag, 24. Mai – Sandaya les Tamaris

Camp in Les Tamaris

Wir beide hatten beim Rauschen der Wellen und in der kühlen Salzluft gut geschlafen und beschlossen spontan, noch einen Tag zu bleiben. Der Platz ist dafür einfach ideal, denn der Strand ist um die Ecke und der Platz wird mit einem kleinen Markt versorgt, der von Fleisch über Baguette & Co bis Wein alles bietet. Allerdings mussten wir mit unserem Gerödel auf einen anderen Platz ziehen.

Das Brenner-Setup aus Trangia 27 und MYOG Karbonfilzbrenner funktionierte prima
Der Muskat war ein erstklassiger Likörwein, eigentlich nicht so ganz das Richtige bei der Hitze
Für den größeren Durst hielt der bestens sortierte Laden des Platzes gerinfügige Mengen Weines bereit
Eines der beiden lieben Abschiedsgeschenke von Heidi

 

Was haben wir gemacht? Kurz, nix, wir waren einfach faul! Ich habe die Zeit genutzt um endlich den ersten Berichtsteil fertig zu stellen. Besonders schön war auch der Abend mit Heidi und Jürgen, 12-Wochen-Dauercamper auf dem Platz. Beide waren total nett und es war richtig schade, als der Abend sich langsam dem Ende zuneigte und die beiden zu ihrem Wohnwagen zurück wollten.
Faul sein ist wunderschön sang schon Pippi Langstrumpf.

Mittwoch, 23. Mai – La Grande Motte – Sandaya les Tamaris (Campingplatz kurz vor Sète), 37 km

Es ging zunächst an der Küste entlang, später etwas ins Hinterland und dann recht langweilig bis zum Campingplatz. Unsere Befürchtung, oft mit dem Lärm

Zeitweise war der Weg durchaus recht hübsch

der vierspurigen Straße im Ohr fahren zu müssen traf zum Glück nicht zu. Im Gegenteil, der erste Teil des Weges war recht kurzweilig und angenehm zu fahren. Erst als der Eurovelo ins Hinterland abbog ( unbedingt auf der linken Seite des Kanals fahren!) gabs Lärm und später musste ein Stück auf der vielbefahrenen Straße gefahren werden. Als der Weg wieder nach Süden abbog wars erst interessant und zuletzt eher langweilig. In der Hitze des Tages beschlossen wir, den nächsten Campingplatz anzufahren und ein wohlgesonnenes Schicksal führte uns zu Les Tamaris.

Kurz vor Les Tamaris

Nach der üblichen Routine war Baden angesagt und ich fühlte mich irgendwie ziemlich schlapp. Gegen Abend fuhren wir zum nahen Utile und dort gab es Gemüse. Gemüse! Wunderbar! Zum Abendessen kochte ich mir einen großen Topf Gemüseeintopf mit Reis. Unglaublich, dieser Geschmack frischer Petersilie!

Dienstag, 22. Mai – Saintes-Maries-de-la-Mer – La Grande Motte, 45 km

Warten auf die Fähre

Nun, es war heute eigentlich eine mehr ereignislose Fahrt bis auf eine bemerkenswerte Ausnahme. Zunächst gings entlang der Departementstraße zur Fähre über die Petite Rhône, dann über eine stille  Nebenstraße, die uns wieder zur stark befahrenen nach Aigues-Mortes führenden Departementstraße führen sollte. Eine eher langweilige Kurbelei.

Ein Stadttor von Aigues-Mortes

Kurz nachdem wir wieder auf o.g. Straße waren, machten wir Pause an einem Obststand mit leckersten frischen Kirschen, Erdbeeren und Aprikosen. Da können wir selten widerstehen. Da trafen zwei Radwanderinnen ein, beide Mitte zwanzig und sehr sportlich. Wir kamen schnell ins Gespräch und beide waren recht sympathisch. Eine Ungarin und US-Amerikanerin hatten sich auf Tour

Gibts solche schönen Karussells bei uns eigentlich noch?

gefunden und waren nun auf dem Weg nach Portugal. Interessant und nachdenklich stimmend war, was die Amerikanerin über Stimmung und Leben in ihrer Heimat berichtete. Die sich dramatisch immer weiter öffnende Einkommensschere zwischen der Masse der Menschen und wenigen Reichen und Superreichen, der Angst, selbst in kleineren Städten nachts auf die Straße zu gehen oder wie dramatisch sich junge

Blick durchs Tor in die Altstadt

Leute selbst aus der Mittelschicht für ihre Bildung und Ausbildung verschulden müssen usw.. Sie beneidete uns Europäer. Viele, die in den 70 und 80ern von Europa in die USA ausgewandert seien, bereuten dies heute bitter. Fast drei Stunden dauerte unser Gespräch und als die beiden dann weiter fuhren, blieben wir sehr nachdenklich und ziemlich erschüttert zurück. Nach unserem Gefühl braut sich, von uns Europäern weitgehend unbeachtet und -bemerkt, Stück für Stück eine soziale Zeitbombe nicht einschätzbarer Sprengkraft zusammen. Was die junge Frau uns erzählte ging uns noch Tage lang durch den Kopf.

Einige Zeit später schoben wir unsere Räder durchs malerische Aigues-Mortes. Vor einem Messergeschäft blieb Claudi wie einzementiert stehen. An solchen Schaufenstern kann sie einfach nicht vorbei. Zwei tolle typische Camargue-Messer für die Töchter und ein wundervoll gearbeitetes Laguiole für Madame wurden dem Reisegepäck hinzu gefügt.

Als wir endlich La Grand Motte ankamen pressierte es etwas, denn die ersten Regentropfen fielen. Die riesigen Bettenburgen und fahren im heftigen Verkehr auf vierspuriger Straße muteten uns nach all der Einsamkeit der letzten Tage befremdlich an. Am ersten Campingplatz wurden wir unfreundlich abgewiesen. Ein Männchen kam auf Claudi zugestürzt, “No tents!“, und gestikulierte ihr gegenüber, als wollte er den Leibhaftigen mit dem vorgehaltenen Kruzifix vertreiben. Auf dem zweiten Platz bauten wir dann im Regen auf recht weichem Sand auf. So eine Schei….! Unsere Abendstimmung war schon mal besser. La Grande Motte behielten wir von allen Orten in schlechtester Erinnerung.

Montag, 21. Mai – Le Salin de Giraud – Saintes-Maries-de-la-Mer, 34 km

Auf Dämmen durch die Camargue

Was für ein unglaublicher und unerwarteter Abend mit einem phantastischen Musikerlebnis auf der alljährlichen Wallfahrt der Gypsies aus ganz Europa in Saintes-Maries-de-la-Mer! Doch davon später mehr.

Unser Weg führte uns zunächst ein Stück zurück, wie wir gekommen waren. Dann bogen wir ab und wir befanden uns bald im

Hier ist alles weit

Naturreservat. Der Karte nach sollten große Seen links und rechts des Dammweges liegen, doch die waren z.T. schon weit verlandet. Uns wunderte, das immer mal wieder Autos auftauchten und tatsächlich, erst weiter im Reservat verhinderten Barrieren deren Weiterfahrt. Allmählich sahen wir auch Wasser. Unser erstes Zwischenziel war ein Leuchtturm mit kleinem Museum im alten Wärterhaus.

Leuchtturm mit kleinem Museum – eher ein Großaufmarschplatz blutrünstiger Mücken

Hier kam der erste Großangriff der Mücken und wir flüchteten fast. Die Mücken begleiteten uns dann treu bis Saintes Marie. Der Weg schien zuweilen endlos. Immer wieder mal begegneten uns andere Radfahrer und manchmal hatten wir ein Gefühl der Verlorenheit in dieser endlosen Weite. Irgendwann tauchte Saintes Maries am Horizont auf und irgendwann rollten wir in Hitze und Staub im Ort ein. Der Weg forderte seinen Tribut.

Vom Ort selbst war ich eher enttäuscht. Besonders sehenswert war er nicht. Und er platzte fast aus allen Nähten, denn fahrendes Volk aus ganz Europa besiedelte mit Campern, Wohnwagen und sogar klassischen Pferdewägelchen riesige Stellflächen. Unser Campingplatz war am anderen Ende der Stadt.
Gegen Abend überzeugte Claudia mich müden Krieger, mit ihr in die Stadt zu gehen. Von einer Freundin hatte sie gehört, dass zu Zeiten der Gypsie-Wallfahrt an verschiedenen Stellen des Ortes tolle Musik gemacht wurde. Und tatsächlich, an einem der Plätze trafen wir auf eine solche Truppe. Die machte mit Trompete, Hackbrett, Akkordeon, Trommeln und später einer Geige Musik vom Feinsten. Wir waren ganz gefangen von den manchmal zarten, aber meist wilden, rhythmischen Klängen und vergaßen die Zeit unter dem hellen Vollmondhimmel der warmen Sommernacht.
Zwischendurch machten wir uns auf zur Kirche, wo sich die Menschen zur Messe versammelten. Ein altes Hutzelweibchen fummelte mir unter mysteriösem Gemurmel rasend flink einen Anstecker mit der Jungfrau ans Hemd. Ich dankte ihr, aber sie wollte einen Euro. Hatte ich nicht und bat so Claudia, auch bereits mit Anstecker versehen und beim Feilschen, um den Preis, um einen. Sie hatte keinen und gab dem Weibchen 10 € zum wechseln. Der Schein verschwand und ward nicht mehr gesehen. So zahlten wir unser Lehrgeld für die ältesten Tricks, aber wir lachten drüber. Selber schuld, denn wir hätten es wissen müssen.
Auf dem Weg zurück zum Platz wurde uns nach und nach klar, was für einen außergewöhnlichen Abend wir erlebt hatten und diese Hochstimmung begleitete uns in den Schlaf.

5 Antworten auf „2018 – La France à vélo – 2. von der Camargue zum Atlantik“

  1. Danke ihr beiden! Heidi, Deine Muschel hat einen besonderen Platz in meinem Andenkenregal gefunden und ich werde Deine Mahnung darin nach besten Kräften beherzigen.

    Liebe Grüße aus Marzipanien – Hartmut

  2. Hartmut,

    Dein Traum mit der Ente auf dem Grabhügel gibt wohl nicht nur Dir Rätsel auf.

    Als Entenfreundin weiß ich nur, dass diese gefiederten Schnatterer sehr treu sind. Vielleicht stehen all die Entenhäuschen auf den Grabhügeln für die kommenden Jahre des Reisens. Wie viele Häuschen an der Zahl, so viele Male unterwegs sein. So komme ich noch einmal auf den Spruch zurück, den ich in eine der Muscheln schrieb: „Reise vor dem Sterben, sonst reisen deine Erben“. So gesehen „Carpe Diem“.

    Ach ja, und sei nett zu jeder Ente, die Deinen Weg kreuzt. Vielleicht ist sie Dein Seelentier.

    Es macht großes Vergnügen Deine Berichte zu lesen. Flott und launig geschrieben, und über die taffe Zigeunerin habe ich herzhaft gelacht.

    Wohl wahr, wenn einer eine Reise tut, kann er viel erzählen. Danke, dass wir ein Stück weit dabei sein durften.

    Einen angenehmen Abend und eine erholsame Nacht auf bandscheibenfreundlicher Unterlage wünsche ich Dir und Claudia.
    Herzlichst
    Heidi und Jürgen

  3. Hallo Ihr Zwei,
    wieder daheim, seit Sonntag, habe ich gerade mal bei Euch rein geschaut. Werde dieser Tage noch aufmerksamer lesen, um zu sehen, wie es Euch erging auf Eurer Fahrt. Jürgen und ich sind wieder im Ländle. Der Wohnwagen wird eingemottet und nächster Jahr darf er wieder gute Dienste leisten. Wir hoffen sehr, es geht Euch beiden gut, und Ihr habt Euch von den Strapazen Eurer Fahrt erholt. Die Hornhaut am „ALLERWERTESTEN“ ist sicher um einige Millimeter gewachsen.

    Jürgen und ich sind in Kürze im Schwarzwald und werden auch endlich wieder radeln.

    Euch beiden wünschen wir weiterhin Unternehmungslust und die nötige Gesundheit. Sicher ist die nächste Aktion schon in Planung, bei der dann neu gewonnene Erkenntnisse umgesetzt werden.

    Ganz liebe Grüße von uns. Es war uns eine große Freude, Euch begegnet zu sein.

    Herzlichst Heidi und Jürgen

  4. Danke ihr beiden. Wir haben noch oft an Euch gedacht und die schöne Zeit, die wir miteinander hatten.
    An der Loire sind wir schließlich vor der Hitze geflüchtet und nun wieder wohlbehalten zuhause. Dort bekommen auch die Muscheln Ehrenplätze!

    Liebe Grüsse – Hartmut & Claudia

  5. Ihr seid unerschütterlich.
    Weiter gute Fahrt.

    Liebe Grüße von uns
    Heidi und Jürgen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert